In China gehen zurzeit Tausende Menschen auf die Strassen, um gegen die rigorose Null-Covid-Politik der Regierung zu demonstrieren. Auslöser der aktuellen Proteste ist ein Wohnungsbrand in der Vier-Millionen-Metropole Ürümqi in der nordwestchinesischen, uigurischen Region Xinjiang. Dabei starben vergangenen Donnerstag laut den chinesischen Behörden 10, laut uigurischen Aussagen mindestens 44 Menschen.
Viele kritisierten, dass die rigiden Corona-Massnahmen – wie etwa Abschrankungen – die Lösch- und Rettungsarbeiten behindert hätten. So war Bewohnern die Flucht ins Freie wegen verriegelter Türen erschwert worden.
Uigure in Zürich verlor Familienangehörige
Abdulhafiz Maimaitimin (27) lebt seit 14 Monaten im Kanton Zürich als Flüchtling. Er ist am Boden zerstört. Denn in der Feuerhölle haben seine Tante sowie vier ihrer Kinder den Tod gefunden. Es handelt sich um Haiernishahan Abdureheman (†48) sowie Shehide (†13), Imran (†11), Abdurrahman (†9) und Nehdiye (†5).
Maimaitimin empfängt Blick am Dienstagnachmittag in seiner Unterkunft. Bedrückt sagt er: «Ich habe meine Tante sowie meine Cousinen und Cousins 2016 das letzte Mal gesehen, als ich drei Tage bei ihnen zu Besuch war. Sie haben mir die Stadt gezeigt, und die Kinder haben mit mir gespielt.»
2017 steckten die Chinesen den Mann seiner Tante sowie einen der Söhne in ein Internierungslager. Kurz darauf telefonierte Maimaitimin noch einmal mit der jüngsten Schwester seines Vaters. Seither hatte er zu seiner Tante keinen Kontakt mehr.
Bewohner waren eingesperrt
Über den Brand und den Tod seiner Angehörigen habe er von einem Bekannten erfahren. Laut diesem muss sich die Tragödie folgendermassen abgespielt haben:
Am vergangenen Donnerstag war im 15. Stock des 21-stöckigen Hochhauses aus unbekannten Gründen ein Feuer ausgebrochen, das sich sehr schnell auf die darüber liegenden Etagen ausbreitete.
Mehr zu den Aufständen in China
Maimaitimins Angehörige lebten im 19. Stock. Sie hatten, wie viele andere, keine Chance, der Feuerhölle zu entkommen. Denn wegen der Null-Covid-Politik der chinesischen Regierung hätten die Behörden vor rund 100 Tagen die Siedlung abgesperrt. Bei den Korridoren der Treppenhäuser und den Eingängen seien sogar Gitter angebracht worden, damit niemand die Wohnung verlassen konnte.
In sozialen Medien riefen Hausbewohner verzweifelt um Hilfe. Ein Post, der Maimaitimin Blick zeigt, lautet: «Öffnet die Türen, wir können nicht mehr atmen!»
Zögerten die Rettungskräfte bewusst?
Maimaitimin zweifelt daran, dass die Feuerwehr die Häuser wegen der Abschrankungen nicht erreichen konnte. «Das ist eine Lüge!», sagt er. Er sieht den Grund für das späte Einschreiten der Hilfskräfte woanders: «In Entfernung von nur wenigen Hundert Metern gibt es bei dieser Siedlung Polizei, Feuerwehr, Militär und ein Spital. Ich bin davon überzeugt, dass sie den Rettungseinsatz mit Absicht verzögert haben, weil im ganzen Gebäude ausschliesslich Uiguren wohnen.»
Inzwischen sind in den Trümmern die Tante sowie eines der Kinder gefunden worden. Die drei andern werden noch vermisst. Ein weiterer Sohn war zum Zeitpunkt des Feuers ausser Haus in einer Halle, wo Hunderte von Menschen in Quarantäne sitzen.
Seit sechs Jahren auf der Flucht
Maimaitimin hat sein Land 2016 mit seiner Schwester auf Drängen seines Vaters verlassen. Dies, nachdem die Chinesen mit dem Bau von Internierungslagern begonnen hatten. Die Geschwister reisten zuerst nach Dubai, dann nach Ägypten und schliesslich nach Istanbul, wo sie längere Zeit lebten und sich die Schwester heute noch aufhält.
Vor 14 Monaten flog Maimaitimin in die Schweiz. Mit dem üblichen Transittrick, wie er gesteht. Er kaufte in der Türkei ein Ticket in die Ukraine – mit Umsteigen in Zürich. In der Schweiz gelandet, stellte er einen Asylantrag, auf dessen Beantwortung er nun wartet.
Die Uiguren sind nach Angaben der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) mit rund zehn Millionen Angehörigen die zweitgrösste muslimische Bevölkerungsgruppe in China. Sie sind ein Turkvolk und ethnisch mit den Türken verwandt.
Rund 90 Prozent aller Uiguren weltweit leben in der chinesischen Provinz Xinjiang, die formal Uigurisches Autonomes Gebiet Xinjiang heisst. Die Uiguren selbst bezeichnen ihr angestammtes Gebiet als Ostturkestan. 1949 annektierten Chinas Kommunisten mit sowjetischer Einwilligung das kurzzeitig unabhängige Ostturkestan.
Die Regierung in Peking wirft uigurischen Gruppen Separatismus und Terrorismus vor und bestraft sie mit Masseninternierungen, Zwangsarbeit, Zwangssterilisationen und kultureller Vernichtung. Das Vorgehen gegen die Volksgruppe hat sich unter Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping (69) noch verschärft.
Laut Recherchen haben Chinas Behörden mehr als eine Million Uiguren und andere meist muslimische Minderheiten in Gefangenenlagern interniert. Peking behauptet, es handle sich dabei um berufliche Fortbildungsstätten, deren Besuch freiwillig erfolge. Ehemalige Häftlinge berichten jedoch von Vergewaltigungen, Folter und politischer Indoktrinierung.
Die USA bezichtigen China des Völkermords an den Uiguren und haben Sanktionen verhängt. Peking weist die Vorwürfe von sich und nennt sie die «Lüge des Jahrhunderts».
Die Uno hat der chinesischen Regierung kürzlich in einem Bericht schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. Deswegen hat im September das Schweizer Aussendepartement den chinesischen Botschafter einbestellt. «Die Schweiz ist überzeugt, dass sie ihre Interessen und die Achtung der Grundrechte am besten durch einen kritischen und konstruktiven Dialog mit Peking wahren kann», betonte das Departement von Bundespräsident Ignazio Cassis (61).
Die Uiguren sind nach Angaben der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) mit rund zehn Millionen Angehörigen die zweitgrösste muslimische Bevölkerungsgruppe in China. Sie sind ein Turkvolk und ethnisch mit den Türken verwandt.
Rund 90 Prozent aller Uiguren weltweit leben in der chinesischen Provinz Xinjiang, die formal Uigurisches Autonomes Gebiet Xinjiang heisst. Die Uiguren selbst bezeichnen ihr angestammtes Gebiet als Ostturkestan. 1949 annektierten Chinas Kommunisten mit sowjetischer Einwilligung das kurzzeitig unabhängige Ostturkestan.
Die Regierung in Peking wirft uigurischen Gruppen Separatismus und Terrorismus vor und bestraft sie mit Masseninternierungen, Zwangsarbeit, Zwangssterilisationen und kultureller Vernichtung. Das Vorgehen gegen die Volksgruppe hat sich unter Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping (69) noch verschärft.
Laut Recherchen haben Chinas Behörden mehr als eine Million Uiguren und andere meist muslimische Minderheiten in Gefangenenlagern interniert. Peking behauptet, es handle sich dabei um berufliche Fortbildungsstätten, deren Besuch freiwillig erfolge. Ehemalige Häftlinge berichten jedoch von Vergewaltigungen, Folter und politischer Indoktrinierung.
Die USA bezichtigen China des Völkermords an den Uiguren und haben Sanktionen verhängt. Peking weist die Vorwürfe von sich und nennt sie die «Lüge des Jahrhunderts».
Die Uno hat der chinesischen Regierung kürzlich in einem Bericht schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. Deswegen hat im September das Schweizer Aussendepartement den chinesischen Botschafter einbestellt. «Die Schweiz ist überzeugt, dass sie ihre Interessen und die Achtung der Grundrechte am besten durch einen kritischen und konstruktiven Dialog mit Peking wahren kann», betonte das Departement von Bundespräsident Ignazio Cassis (61).
Von seinen Eltern hat Maimaitimin seit 2017 nichts mehr gehört. «Ich weiss nur, dass mein Vater zu neun Jahren Gefängnis verurteilt worden ist, der Grund ist mir unbekannt.»
Gefährliche Telefongespräche
Maimaitimin steht in engem Kontakt mit Andili Memetkerim (55), der in Othmarsingen AG als Humanmediziner arbeitet und den Uigurischen Verein Schweiz – in der Schweiz leben rund 160 Uiguren – koordiniert. Auch er hat zu seiner Familie seit fünf Jahren keinen Kontakt mehr.
Memetkerim: «Wenn man mit Angehörigen telefoniert, gibt das den Chinesen einen Grund, diese ins Lager zu stecken. Zudem sind die meisten Telefonnummern inzwischen ungültig.» Jeder uigurische Haushalt sei inzwischen von den Restriktionen der Chinesen betroffen.
Dann fehlen den beiden die Worte. Sie schauen sich an – und Memetkerim sagt nur: «Die Situation für die Uiguren in China ist schlimm, schlimm, schlimm.»