Michael Peuker (36) arbeitet für das Westschweizer Fernsehen RTS in Shanghai und berichtet zurzeit über die grossen Proteste. Seit dem Wochenende gehen in ganz China Menschen auf die Strasse, um gegen die rigorose Null-Covid-Politik und die damit verbundenen Einschränkungen zu protestieren.
Als sich Peuker mit seinem Kameramann am Sonntagabend für eine Liveschaltung für die TV-Sendung «19h30» in Stellung brachte, bemerkte er im Monitor rot und blau blinkende Lichter einer Polizeipatrouille, die hinter ihm anhielt. Und das fünf Minuten, bevor er auf Sendung gehen musste.
«Die Polizisten öffneten das Fenster und schrien ‹Kontrolle!›», berichtet Peuker Blick am Telefon. Da der Journalist Identitätskarte und Presseausweis nicht auf sich trug, sondern im nahe liegenden Büro liegen gelassen hatte, forderte die Polizei ihn und den Kameramann auf, unverzüglich einzusteigen. Es gelang Peuker, die Polizisten hinzuhalten, indem er ihnen sagte, dass er in fünf Minuten live auf Sendung gehen würde.
Kameras beschlagnahmt
Während der Sendung berichtete Peuker auch über die Slogans, die die Demonstranten skandierten, und erwähnte den Namen des chinesischen Präsidenten Xi Jinping (69). Als dies die Polizisten bemerkten, kamen sie auf den Reporter zu, der ihnen abwehrend seine rechte Hand entgegenstreckte. «Weil sie trotzdem näher kamen, beendete ich meinen Satz frühzeitig und schloss die Übertragung», sagt Peuker zu Blick.
Die Polizisten beschlagnahmten die teuren Kameras und forderten Peuker auf, seine Ausweise im Büro zu holen. «Sie sagten uns, dass es eine Untersuchung gegen uns geben würde, um zu klären, ob wir chinesisches Gesetz gebrochen hätten.»
Im Büro rief Peuker seinen Chef in der Schweiz an und bat ihn, die Botschaft zu informieren, falls er sich in nächster Zeit nicht mehr melden würde. Als der Journalist wieder zum Polizeifahrzeug zurückkehrte, drängten die Polizisten Peuker und den Kameramann dazu, sich zu beeilen.
Plötzlich frei
«Doch dann wendete sich das Blatt plötzlich», berichtet Peuker. Nach einem Telefonanruf in der Zentrale gaben die Polizisten den Journalisten die Ausrüstung zurück und liessen sie gehen. «Sie sagten uns, dass sie mit der Zentrale gesprochen und sie die Anweisung erhalten hätten, uns freizulassen.»
Sie hätten Peuker nur noch gefragt, worüber er denn am TV gesprochen hätte. «Als ich ihnen sagte, dass es um die Demonstration ging, fragten sie nur: ‹Welche Demonstration?›.» Das Intermezzo mit der Polizei habe etwa 40 Minuten gedauert und ihn wütend gemacht, erzählt Peuker gegenüber Blick.
Die Lage in Shanghai habe sich inzwischen etwas beruhigt. Viele Leute kämen einfach, um zu schauen. Peuker: «Aber viele sehen nur schon das Beobachten von etwas, das verboten ist, als einen stillen Protest an.»