«Das ist wie ein Tattoo. Es bleibt für immer»
So hat Corona italienische Ärzte geprägt

Ende März wurden in ganz Italien Ärzte und Krankenschwestern, die zuvorderst an der Corona-Front mitkämpften, fotografiert. Acht Monate später standen sie erneut vor der Kamera und zogen Bilanz.
Publiziert: 15.12.2020 um 11:24 Uhr
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Aktualisiert: 03.02.2021 um 18:42 Uhr
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Im Rahmen einer Fotoserie standen 16 Ärzte, Krankenschwestern und Pflegekräfte vor der Kamera.
Foto: keystone-sda.ch

Die Corona-Pandemie traf Italien hart. Besonders das Pflegepersonal und die Ärzte sind seit Frühling beinahe am Limit ihrer Kräfte. Der tägliche Kampf um das Leben der Patienten verlangt viel ab. Das Virus hat deutliche Spuren in ihren Gesichtern und in ihren Köpfen hinterlassen.

Im Rahmen der Fotoserie «Italiens Helden» standen 15 Fachkräfte aus drei Spitälern zweimal vor der Kamera. Zuerst am 27. März – zu Beginn der ersten Welle. Das zweite Mal wurden sie vor wenigen Wochen fotografiert.

Während sie sich die Vorher-Nachher-Bilder anschauen, ziehen sie ein Fazit der letzten acht Monate und über das grosse Leid, das Corona verursacht hat.

«Helft uns, nicht wegen euch zu sterben!»

Die Pflegetechnikerin Claudia Accardo, die in einem Römer Spital arbeitet, sagt: «In diesen acht Monaten habe ich erkannt, wie dumm der Mensch sein kann. Wir Mediziner riskieren jeden Tag unser Leben auf den Intensivstationen und es gibt Leute, die von Verschwörung sprechen! Nennt uns nicht Helden, schützt euch selbst und helft uns, nicht wegen euch zu sterben!»

Die Schockbilder aus Bergamo – der einstigen Corona-Hochburg – gingen um die Welt. Überfüllte Intensivstationen, sich stapelnde Särge und Militärfahrzeuge, die Leichen aus der Stadt bringen. Denn auf dem örtlichen Friedhof gab es für die Toten keinen Platz mehr. Die Verstorbenen mussten auf Friedhöfe in sieben Provinzen verteilt werden. Die Zeitungen veröffentlichten seitenweise nur noch Todesanzeigen.

Sieht es in unseren Spitälern bald so aus?
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Schock-Bilder aus Bergamo (I):Sieht es in unseren Spitälern bald so aus?

Mitten drin arbeitet auch Martina Papponetti. Auf ihrem ersten Foto im März lächelt die Krankenschwester noch. Am 30. November hat die junge Frau nichts mehr zu lachen.

«Man lernt, Mut für zwei zu haben und ihn mit Gesten und Aufmerksamkeit zu zeigen. Man lernt, sich auf die Hoffnung jenseits der Wissenschaft zu verlassen, sich selbst zu verzeihen für Versprechen, die nicht gehalten werden konnten. Diese Porträts frieren einen Moment ein, mit dem niemand Erinnerungen verbinden wollte.»

Ihre Kollegin Daniela Turno pflichtet ihr bei. «Was wir hier durchleben, ist wie ein Tattoo. Es bleibt für immer.»

Der Elektrophysiologe Luca Tarantino, ebenfalls in Bergamo im Einsatz, erinnert sich an einen seiner schlimmsten Momente. «Ich musste einem Sohn sagen, dass sein Vater verstorben war. Der grösste Schmerz war, als er mir einen Moment zuvor auch vom Tod seiner Mutter erzählte.»

«Wir sind müde»

Nicht nur die Krankenschwestern, auch die Ärzte sind erschöpft. Ihre Wangenknochen sind von den Masken und den Schutzbrillen aufgerieben. Die Angst steht ihnen ins Gesicht geschrieben.

«Oft fühle ich mich machtlos, unser Wissen erweist sich als nutzlos, und alles, was man tun kann, ist einfach nur zusehen, wie jemand innerhalb weniger Stunden stirbt», sagt Sebastiano Petracca, Chefarzt der Intensivstation in einem Krankenhaus in Rom. Seine Mundwinkel zeigen nach unten, sein Blick ist müde. «Diese Fotos haben unsere Gefühle sehr gut wiedergegeben.»

Mirco Perruzza arbeitet in der gleichen Klinik wie Petracca. Perruzza ist Oberarzt. Seine Bilanz ist ernüchternd. «Heute ist alles anders. Wir wissen zwar besser, womit wir es zu tun haben, aber wir sind müde und spüren nicht mehr die Unterstützung der Menschen wie früher.»

Die Provinz Brescia im Norden des Landes zählt zu den am stärksten betroffenen Regionen in Italien. Kirchen wurden zu Leichenhallen umfunktioniert. Hunderten von Corona-Patienten begegnete Michela Pagati in diesen Monaten. In dieser schwierigen Zeit versucht die Krankenschwester, sich das Gute einzuprägen. «Ich werde nie die Stimme der Patienten vergessen, die ich von den Beatmungsgeräten abkoppeln konnte und die, als sich ihr Zustand verbesserte, zum ersten Mal ihre Familien anrufen konnten.»

Strenge Massnahmen an Feiertagen

Über 65'000 Menschen in Italien sind am Coronavirus gestorben. Über 1,85 Millionen Fälle wurden registriert. Seit Mitte Oktober steigen die Zahlen rasant an. Mitte November war ein trauriger Rekord erreicht.

Um die Pandemie in den Griff zu bekommen, hat die Regierung verschärfte Reisebeschränkungen an kommenden Feiertagen erlassen. Vom 21. Dezember bis 6. Januar darf man die Heimatregion nicht verlassen. An Weihnachten und an Silvester muss man gar in der eigenen Stadt bleiben. Weiter gelten die nächtlichen Ausgangsverbote. Je nach Region dürfen die Restaurants öffnen, jedoch nur bis 18 Uhr. Dort, wo die Zahlen hoch sind, bleiben die Beizen ganz zu. (man)

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