Die Ukraine erwartet über die Festtage massive Angriffe der Russen. Auf Satellitenbildern wurde in den vergangenen Tagen eine erhöhte Aktivität der russischen Marine auf dem Schwarzen Meer festgestellt. Beobachter berichten von zahlreichen russischen Schiffen in den Gewässern vor Sewastopol, nahe der Halbinsel Krim.
Worauf haben es die Russen abgesehen? Bei einem Angriff vom Schwarzen Meer aus dürften in einer ersten Phase die Gebiete um Saporischschja, Cherson und Melitopol im Hauptfokus stehen. Dieser Meinung ist Dominik Knill (64), Militärbeobachter und Präsident der Schweizerischen Offiziersgesellschaft.
Knill sagt zu Blick: «Russland wird versuchen, den eigenen Truppen mit schweren Waffen Unterstützung zu leisten und die ukrainischen Nachschublinien zu zerstören, damit weniger westliche Waffensysteme zum Einsatz an der Front kommen und das Vorrücken der Ukrainer gestoppt wird.»
Ukrainer auf dem Vormarsch
Denn die Russen werden von den Ukrainern in den eroberten Gebieten massiv bedrängt. Knill: «Mit einem Vorstoss von Saporischschja über Melitopol ans Asowsche Meer würden die russischen Nachschublinien auf dem Landweg auf die Krim empfindlich gestört. Zudem müssten die russischen Kräfte westlich von Melitopol damit rechnen, eingekesselt zu werden.»
Laut Knill sind die Ukrainer auf Angriffe vom Wasser vorbereitet. «Mit den modernen westlichen Abstandswaffen, die mittlerweile in der Ukraine stationiert sind, könnten den schwimmenden russischen Plattformen empfindliche Verluste zugefügt werden», meint er.
Flaggschiff schon versenkt
Laut Beobachtern befinden sich derzeit unter anderem vier U-Boote der Kilo-Klasse im Schwarzen Meer auf dem Weg Richtung Ukraine. Diese können Marschflugkörper abfeuern. Mindestens eines dieser U-Boote werde von einem russischen Schnellboot sowie einem Kampfhelikopter begleitet. Diese sind für den Schutz der Kilo-U-Boote zuständig. Denn: Die Ukraine verfügt über moderne Seedrohnen, die bei einem Treffer explodieren und so ein gegnerisches U-Boot vollständig zerstören können.
Mehr zur Bedrohung vom Schwarzen Meer
Schon zu Beginn des Kriegs war es den Ukrainern gelungen, das russische Flaggschiff im Schwarzen Meer, den Lenkwaffenkreuzer Moskwa, zu versenken. Seither fuhren die Russen ihre Aktivitäten auf dem Wasser zurück. «Dass die russische Marine erneut in das Kriegsgeschehen eingreift, zeigt, dass sie nach dem Desaster mit der Moskwa wieder die Hoheit über ihre Gewässer ausüben will», sagt Knill.
Neue Angriffe auf Kiew?
Die Ukraine erwartet auch von Norden her neue Angriffe, die noch im Winter, spätestens aber im Frühling losgehen könnten. Der Oberkommandierende der ukrainischen Streitkräfte, Walerij Saluschnyj (49), hatte kürzlich gegenüber dem «Economist» gesagt, er zweifle nicht daran, dass Moskau noch einmal versuchen werde, Kiew einzunehmen. Das könnte durch eine erneute Invasion von Russlands Partnerstaat Belarus aus geschehen.
Ob Russland überhaupt noch die Kraft für neue Angriffe hat, ist allerdings ungewiss. Die Ukraine berichtet, dass der Feind mindestens 100’000 Soldaten verloren habe. Auch an Material fehlt es. Laut dem versierten Militärblog Oryx verloren die Russen mindestens 1500 Panzer und etwa 600 Artillerie- und Raketengeschütze.