Null-Covid-Politik – so lautet in China seit fast drei Jahren die Devise. Jetzt ist Schluss damit. Nach den landesweiten heftigen Protesten gegen die Massnahmen lockert die Regierung jetzt endlich – in zehn Punkten. Ein direkter Erfolg der Proteste, welche China in den letzten Wochen erschüttert haben?
Ja, sind sich Experten einig. Sabrina Habich-Sobiegalla (39), China-Expertin an der Freien Universität Berlin: «Dies kann als eine direkte Reaktion auf die Proteste gewertet werden – auch wenn die Zentralregierung das natürlich so nicht zugibt.» China beruft sich bei den Lockerungen auf die Wissenschaft.
Trotzdem sei es eine persönliche Niederlage für Machthaber Xi Jinping (69), glaubt Brian Carlson (44) vom Center for Security Studies. «Xi begründete den chinesischen Umgang mit dem Virus mit der Überlegenheit gegenüber westlichen Methoden – und jetzt ist klar: Der autoritäre Kampf gegen das Coronavirus ist gescheitert», sagt er zu Blick. Angesichts der Proteste könne sich Xi die Null-Covid-Politik schlicht nicht mehr leisten, meint Carlson.
Ralph Weber (48), China-Experte an der Uni Basel, sieht das anders: «Für den chinesischen Parteistaat gibt es kein Versagen. Man revidiert die Geschichte und definiert das Versagen in einen Erfolg um.» Aus dem Ausland betrachtet könne man allerdings fast nicht zu einem anderen Schluss kommen, als die Lockerungen als eine Einsicht zu lesen.
Denn: «Auch der wirtschaftliche Schaden dieser Politik, die ja international eine starke Isolation bedeutete, wäre auf die Länge kaum mehr zu kontrollieren gewesen.» Die Befindlichkeit des chinesischen Volkes spiele hier also schon eine Rolle. «Aber nicht als Gegengewicht zur Politik, sondern als Arbeitskraft, die zufriedengestellt und intakt genug sein muss, um in der Wirtschaft ihre Funktion für das Regime spielen zu können», so Weber zu Blick.
Dass die Lockerungen einen Umschwung der chinesischen Politik hin zur Demokratie bedeuten, bleibt unwahrscheinlich. Weber: «Für Optimismus gibt es wenig Grund und von Demokratie kann keine Rede sein.» Auch für Habich-Sobiegalla waren die Proteste «ein kurzer Moment des Aufbegehrens der Chinesen, die über lange Zeit durch drakonische Lockdowns und teils wahnwitzige Umsetzung der Massnahmen an den Rand der Verzweiflung getrieben wurden».
Startet China einen Angriff auf Taiwan?
Fakt ist: Es rumort in China. Um von Problemen zu Hause abzulenken, greifen Politiker gerne zu aussenpolitischen Krisen, wie Carlson erklärt. Der taiwanesische Aussenminister Joseph Wu (68) befürchtet nun genau das. «Wir sind besorgt, dass die chinesische Regierung Taiwan beschuldigt, die Ursache für die Unruhen in China zu sein.» Laut Carlson könnte es für Xi verlockend sein, mit nationalistischen Massnahmen – etwa einem Angriff auf Taiwan – das Volk hinter sich zu einen.
Der Experte sieht aber keine Anzeichen für einen bevorstehenden Angriff auf Taiwan, doch er merkte an, dass US-Beamte ihre wachsende Besorgnis darüber zum Ausdruck gebracht haben, dass dies irgendwann in diesem Jahrzehnt geschehen könnte. Ein Schritt, der laut Weber international geahndet werden würde. «Ein Angriff auf Taiwan ist ein schwieriges Unterfangen und würde eine globale Krise auslösen, für welche China vermutlich kaum gerüstet ist.» Ernstzunehmen sei die Warnung aber trotzdem.