So will Bundesrat Cassis den Auslandschweizern helfen
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«Weitere Termine in Aussicht»:So will Bundesrat Cassis den Auslandschweizern helfen

Blick trifft Aussenminister Cassis in Bangkok
Warum gibts keinen Impfstoff für Auslandschweizer?

Viele Auslandschweizer warten vergeblich auf Impfungen in ihren Wohnstaaten. Sie hoffen auf Hilfe der Schweiz. Die Impfung von Auslandschweizern sei «im Moment nicht möglich», sagt Aussenminister Cassis auf seiner Asien-Reise. Doch der Bundesrat debattiere das Thema.
Publiziert: 02.08.2021 um 09:53 Uhr
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Aktualisiert: 02.08.2021 um 09:56 Uhr
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Bundesrat Ignazio Cassis ist im Rahmen seiner Südostasien-Reise in Thailand eingetroffen.
Foto: Daniel Kestenholz
Daniel Kestenholz

Bundesrat Ignazio Cassis (60) ist am Sonntag zum Auftakt seiner Südostasien-Reise im Corona-Hotspot Bangkok gelandet. Und Corona sollte seine Agenda dominieren. Der offizielle Reisegrund: 90 Jahre diplomatische Beziehungen mit Thailand. Doch eine auf Facebook übertragene 1.-August-Rede sowie Gespräche mit Auslandschweizern drehen sich alle um das eine Thema: Schweizer Impfungen für Auslandschweizer.

Cassis besucht eine sonst emsige Metropole im Ausnahmezustand. Vor seinem Hotel im Herzen von Bangkok zog am Sonntag ein Protestzug von Regierungsgegnern vorbei – trotz Versammlungsverbot. Bangkok wirke ja wie ausgestorben, hiess es aus Cassis' erstauntem Delegationskreis. Die meisten Geschäfte sind geschlossen, ab 21 Uhr herrscht Ausgangssperre, Menschen verbarrikadieren sich zu Hause. Cassis trat die Reise trotzdem an: «In den vergangenen zwei Jahren war es immer ungünstig», sagt der Bundesrat im Gespräch mit Blick. «Ein Zeitfenster bot sich und gehörte ergriffen. Man kann sich mit Masken, Impfstoffen und Tests schützen. Man kann wegen des Virus nicht aufhören zu leben.»

Cassis nimmt die Sorgen der in der Region ansässigen Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer ernst, spricht von einer «Weltkrise». Aus Bangkok gehen Bilder um die Welt, wie Menschen auf der Strasse sterben. Das versetzt viele der in Thailand ansässigen Schweizer Rentner in Angst. Insbesondere, da es sehr schwierig für sie ist, einen Impftermin in ihrer neuen Wahlheimat zu bekommen. Die Betroffenen hoffen deshalb auf Hilfe des Bundes. Schliesslich habe sich die Schweiz mit ausreichend Impfstoffen eingedeckt, finden sie.

Schweiz habe Schwelle zur Sicherheit noch nicht erreicht

Doch sowohl im Gespräch mit Blick als auch in einer Gesprächsrunde mit Auslandschweizern stellt Cassis klar: «Die bestellte Impfstoffmenge dient primär dem Schutz im Inland.» Erklärtes Ziel des Bundesrats sei, «alle Impfwilligen können geimpft werden, und die Herdenimmunität muss erreicht sein. Wir haben die Schwelle noch nicht erreicht, wo Sicherheit gegeben ist».

Bislang hat sich erst knapp die Hälfte der Schweizer Bevölkerung vollständig impfen lassen. Erste Impfzentren schliessen. Das Problem: In Thailand wollen sich die Leute impfen, können aber nicht. In der Schweiz hingegen können sich Leute impfen und wollen nicht. «Wir haben genügend Impfstoffe, aber noch nicht genügend Menschen, die sich impfen lassen», so Cassis.

Neben der Impfung aller Impfwilligen führt Cassis ein zweites Problem auf, weshalb der Bund nicht einfach Impfdosen um die Welt schicken könne. Die Schweiz sei vertraglich gebunden, die eingekauften Impfstoffe nur im eigenen Land zu verwenden. «Die Rechtslage ist klar», so Cassis. «Die Schweiz würde vertragsbrüchig, wenn sie Impfstoffe nach Thailand bringen würde.» Diese Regeln gelten vorab, erklärt er, um einen globalen Schwarzmarkt mit Impfstoffen zu verhindern.

Juristisches Gerangel

Diese Auflagen hinterfragt der mitgereiste FDP-Nationalrat Laurent Wehrli (56), Vorstandsmitglied der Auslandschweizer-Organisation: Man könnte die Auslandschweizer in der Botschaft impfen, sagt Wehrli zu Blick: «Die Schweizer Botschaft ist Schweizer Boden. Das wäre eine juristische Interpretation.» Die ungebrauchten Impfstoffe hätten zudem ein Verfalldatum. Der Waadtländer ist überzeugt: «Wenn wir ein Problem haben, können wir immer eine Lösung finden.»

Wehrli ist sich bewusst, dass es in der Schweizer Bevölkerung kaum Unterstützung für die Impfung von Auslandschweizern gebe. «Die Kommentare in entsprechenden Online-Berichten sind eindeutig», räumt er ein. «Politisch ist diese Forderung nicht populär. Doch wir machen keine populistische Politik, sondern was wichtig ist.» Und wenn die Schweiz ihre bestellten und nicht gebrauchten vier Millionen Astrazeneca-Dosen an Covax abgeben könne, dann «können wir auch 10'000 Impfdosen an Länder geben, wo es Probleme gibt».

Cassis stellt klar: 90 Prozent der rund 800'000 Auslandschweizer hätten keine Probleme, in ihren Gastländern an Impfstoffe zu kommen. «Bei zehn Prozent dieser 800'000 Menschen trifft man auf Schwierigkeiten, das ist im Moment auch in Thailand der Fall. Thailand hat sich mit den Null-Infektionen ein ehrgeiziges Ziel gesetzt. Bei einer weltweiten Pandemie ist dieses Ziel fast nicht zu erreichen.»

Bundesrat wird Impfungen für Auslandschweizer noch mal diskutieren

Trotz hoher Hürden und Hindernisse: Cassis will das Thema Impfungen für Auslandschweizer noch nicht zu den Akten legen. Die Schweizer Regierung sei daran, «das Ganze noch einmal zu prüfen». Einen Zeitrahmen will Cassis nicht nennen: «Sollte der Bund zum Schluss kommen, an der aktuellen Situation etwas zu ändern, dann müssen die Juristen an die Arbeit und über die Verträge gehen.»

«Im Moment ist es nicht möglich», erklärt Cassis. «Wir werden das Thema voraussichtlich nach der Sommerpause noch mal angehen, zusammen mit dem Departement von Bundesrat Berset».

Schweizer Botschaft organisiert lokale Impftermine

Auch vom Vorwurf der Weltgesundheitsorganisation (WHO), reiche Länder wie die Schweiz würden auf Impfstoffen sitzen, während arme Länder leer ausgehen, will Cassis nichts wissen: «Die Schweiz hat kein schlechtes Gewissen, wir haben viel gemacht.» Insgesamt habe man bereits 700 Millionen Franken an humanitärer Hilfe gegen Covid-19, darunter auch an globale Impf-Initiativen für ärmere Länder sowie vier Millionen Astrazeneca-Impfdosen an die Covax-Initiative gespendet. Nach Thailand wurden 26 Tonnen Hilfsmaterial mit über einer Million Antigen-Virustests und 100 Beatmungsmaschinen für die Intensivpflege geschickt. «Wenn die Pandemie nicht auf der ganzen Welt bekämpft wird, dann sind wir auch in der Schweiz nicht sicher», sagt Cassis.

Der Bundesrat ist überzeugt, dass sich die schwierige Lage in stark betroffenen Ländern mit der Zeit bessern werde. Er erinnert daran, dass Impfstoff noch vor ein paar Monaten auch in der Schweiz knapp gewesen sei.

Derweil legt sich auch die Schweizer Vertretung in Bangkok für ihre Mitbürger ins Zeug. Dank Botschafterin Helene Budliger Artieda konnten rund 900 Astrazeneca-Impftermine an ältere Auslandschweizer mit Risikoprofil vermittelt werden. Das haben bisher rund 300 Schweizer in Anspruch genommen.

Die Schweiz beobachte Thailand «mit Sorge»

Cassis versichert, er werde mit Thailands Gesundheitsminister Anutin Charnvirakul (54) «Klartext sprechen und sich dafür einsetzen, dass Thailand auch Ausländer impft. Wir impfen ja auch alle Ausländer». Überhaupt werde er «im politischen Dialog mit Premierminister Prayuth Chan-ocha auch unangenehme Aspekte zur Sprache bringen». Die Schweiz beobachte die politische Lage in Thailand «mit Sorge».

Thailands aus dem Putschregime hervorgegangene Regierung hat demokratische Prozesse weitgehend ausser Kraft gesetzt. Der Widerstand im Volk wächst. Dermassen unter Druck von allen Seiten hat die Regierung jetzt sogar Kritik an ihrem Covid-Krisenmanagement unter Strafe gestellt. Wer «Falschmeldungen» verbreitet, dem drohen bis zu fünf Jahre Haft.

Derweil werden Rücktrittsforderungen immer lauter. Der prominente Politologe Thitinan Pongsudhirak schrieb kürzlich in einem Leitartikel in der «Bangkok Post», Premier Prayuth habe das Land in eine Notlage getrieben: «Die Menschen werden umso mehr leiden, je länger das von Prayuth geführte Regime im Amt bleibt.»

Diversität charakterisiere die Schweiz

Ratschläge, wie sie die auch aus der Viruskrise resultierenden Probleme zu bewältigen habe, will Cassis der thailändischen Regierung nicht geben. Die Länder seien zu verschieden. Das föderalistische System der Schweiz habe sich bei der Krisenbewältigung als «bürgernah» erwiesen. Dafür habe sich die Digitalisierung der reichen Schweiz als verbesserungswürdig gezeigt.

Beeindruckt habe ihn die Diversität der Schweiz: «Man hat gesehen, wie die unterschiedlichen Sprach- und Kulturregionen anders reagieren auf Angst, auf Liebe und Menschennähe. Und das ist die Schweiz. Das ist die Diversität, die uns so klar charakterisiert.»

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