Eben noch fielen sich in der Ankunftshalle die Rückkehrer und ihre Familien in die Arme. Ballone, Blumen, Freudentränen. Doch keine Minute nach meiner Ankunft am Flughafen Ben Gurion in Tel Aviv ertönt ein schriller Raketenalarm. Männer und Frauen mit gelben «Security»-Käppis schreien durch die Halle: «Uns nach, in den Bunker, sofort!» Und schon rennen und stolpern die paar Dutzend Menschen aus der riesigen Wartehalle durch enge Treppenhäuser in einen unterirdischen Gang. Er dient als Raketenbunker.
Grelles Licht. Stickige Luft. Der Spurt hierhin mit meinen zwei schweren Rucksäcken treibt mir den Schweiss auf die Stirn.
90 Sekunden brauchen die Hamas-Raketen aus dem Gaza-Streifen bis hierhin. Die allermeisten werden vom israelischen Raketenabwehrsystem «Eisenkuppel» abgefangen. Die Hamas hat den Flughafen längst als strategisches Ziel auserkoren. Ohne ihn hätte Israel rasch ein riesiges Problem. Fast alle lebenswichtigen Güter aus dem Ausland kommen hier an. Und aktuell zusätzlich Tausende Armee-Reservisten aus dem Ausland.
Schreiende Sicherheitsleute
Praktisch alle Airlines haben ihre Verbindungen nach Tel Aviv eingestellt. Der Anflug hierhin: schlicht zu gefährlich. Keine Versicherung will dieses Risiko auf sich nehmen. Auch die Swiss hat ihr Angebot inklusive aller geplanten Rückholflüge bis auf Weiteres storniert. Am Flughafen von Tel Aviv, noch bis vor drei Wochen täglich bevölkert von Zehntausenden sonnenhungrigen Touristen, ist es fast gespenstisch still – bis auf den Raketenalarm und das Geschrei der Sicherheitsleute.
Die einzigen zivilen Flieger, die hier noch starten und landen, sind die Boeings der staatlichen israelischen Gesellschaft El Al. Die liess ihre Flotte ab 2004 kontinuierlich mit eigenen Raketenabwehrsystemen ausrüsten.
Seit 2014 ist jedes Flugzeug der El Al mit einem solchen Schutz ausgerüstet. Eine 2,7 Meter lange Hightech-Box am Bauch des Flugzeugs erkennt sofort, wenn sich eine Rakete dem Flugzeug nähert. Mit Laser und Hitzewellen werden die Geschosse abgelenkt. Den Gaza-Streifen umfliegen die El-Al-Maschinen trotzdem seit Jahren. Neuerdings nochmals deutlich grossräumiger.
«Entweder wir Juden überleben – oder diese Islamisten»
«Die Hamas ist nicht unser grösstes Problem», sagt mir einer der Sicherheitsmänner im Raketenbunker. «Wenn die Hisbollah aus dem Libanon mit ihren Raketen kommt, dann ists vorbei mit uns.» Die vom Iran finanzierte Miliz verfügt nach Schätzungen der US-Geheimdienste über bis zu 150'000 Raketen. Viele davon mit grosser Reichweite und präzisen Steuersystemen. Auch die Hamas verfügt inzwischen über Raketen, die theoretisch ein Flugzeug vom Himmel holen könnten. Noch haben sie es nicht versucht.
«Es ist ganz einfach», sagt mir der Sicherheitsmann, während im Hintergrund noch immer laute Raketenwarnungen durch die Lautsprecher rauschen: «Entweder wir Juden überleben – oder diese Islamisten. Für beide ist hier kein Platz.»
Im Schnitt viermal täglich trommeln er und seine Leute seit Ausbruch des neuen Krieges im Nahen Osten die Flugpassagiere und die wartenden Familien in den Bombenkeller. Hier warten sie dann für zehn Minuten, manchmal länger. Die Stimmung ist entspannt. Niemand weint. Keines der Kinder schreit. Eine Gruppe junger Orthodoxer macht Selfie-Videos und lacht.
Die Israelis haben sich nach drei Wochen Krieg bereits an den Raketenterror der Hamas gewöhnt. Ihre Abgestumpftheit überrascht mich. Was für niemanden auf der Welt Normalität sein sollte: Hier in Israel ist es jetzt trauriger Alltag.