Israel antwortet auf das Hamas-Massaker und die Entführung von über 200 Geiseln vom 7. Oktober mit massiven Luftangriffen auf Gaza. Zudem wird eine grossangelegte Bodenoffensive erwartet. Doch auch mehr als zwei Wochen nach Beginn des Krieges hat diese noch nicht begonnen. Bereits am 13. Oktober drangen allerdings israelische Soldaten in den Gaza-Streifen ein und führten dort Razzien durch. In der Folge gab es weitere solcher Aktionen.
Ein Sprecher des israelischen Militärs gab am Montag bekannt, dass bereits vereinzelt Bodentruppen in dem von der Hamas beherrschten Gebiet im Einsatz seien. «In der Nacht gab es Razzien durch Panzer- und Infanterietruppen», sagte Daniel Hagari vor Journalisten. «Dabei handelt es sich um Razzien, bei denen Terroristentrupps getötet werden, die sich auf die nächste Phase des Krieges vorbereiten.» Israels Armee sei dabei tief in den Gazastreifen eingedrungen. Die Hamas bestätigte die israelischen Vorstösse.
Mittel und Ziele beschränkt
Doch was unterscheidet solche Manöver von einer Bodenoffensive? Michel Wyss (36) von der Militärakademie an der ETH Zürich: «Die eingesetzten Mittel als auch die Ziele sind beschränkter als bei einer grossangelegten Bodenoffensive. Bei diesen Aktionen ging es laut Israel um Informationsbeschaffung hinsichtlich Verbleib der Geiseln.» Es gehe nicht um viel umfassendere Zielsetzungen, wie zum Beispiel die Zerstörung oder Entmachtung der Hamas.
Seit der vergangenen Woche hat die Hamas bereits vier Geiseln freigelassen. Aus diesem Grund dürfte die grosse Bodenoffensive auch jetzt nicht unmittelbar bevorstehen. Einem Bericht der «New York Times» zufolge, der sich auf mehrere nicht namentlich genannte US-Regierungsbeamte stützt, drängen die USA die Regierung des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu (74) dazu, die Bodenoffensive zu verschieben. Unter anderem soll demnach Zeit gewonnen werden, um die Freilassung weiterer Geiseln zu erzielen.
Bei den bisherigen Manövern Israels im Gazastreifen kamen laut Wyss vermutlich Spezialkräfte zum Einsatz. Eine grossangelegte Bodenoffensive erfordere viel mehr Truppen. «Dies bedeutet einen grösseren Zeitaufwand für Planung und Vorbereitung. Zudem scheinen auch politische beziehungsweise strategische Überlegungen zu einer Aufschiebung der Bodenoffensive geführt haben», sagt Wyss.
«Enorme Herausforderung»
Eine grosse Bodenoffensive könnte das Leben der verbleibenden Geiseln in Gefahr bringen. Auch bei den israelischen Luftangriffen wurden gemäss Hamas bereits mehrere Geiseln getötet. Zudem rechnen einige Experten bei einem grossangelegten Einmarsch mit hohen Verlusten für das israelische Militär. Dass sämtliche Geiseln mit Razzien befreit werden können, erachtet Wyss als unwahrscheinlich. «Die Herausforderung beziehungsweise Komplexität eines solchen Vorhabens wären enorm.»
Ob es letztendlich zu einer Bodenoffensive kommt, erklärt Wyss, hängt von den von der Politik vorgegebenen Zielen ab. «Ist das Ziel die Zerstörung beziehungsweise Entmachtung der Hamas, dürfte dies nur durch eine Bodenoffensive zu erreichen sein, wenn überhaupt.» Binnen weniger Tage hat das israelische Militär bereits Hunderttausende Reservisten mobilisiert und Zehntausende Soldaten an die Grenze zum Gazastreifen verlegt.