«Es braucht eine Strategie, dass die Menschen überleben»
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Blick-Reporter aus der Türkei:«Es braucht eine Strategie, dass die Menschen überleben»

Blick-Reporter Benjamin Fisch berichtet aus Antakya, dass die anfängliche Hoffnung trauriger Akzeptanz gewichen ist
Die Zeit der kleinen Wunder ist vorbei

Unermüdlich kämpften sich die Retter durch die Trümmer, um nach Überlebenden zu suchen. Jetzt nach mehr als 72 Stunden hat sich die Situation verändert, berichtet Blick-Reporter Benjamin Fisch aus Antakya. Aus Hoffnung ist traurige Akzeptanz geworden.
Publiziert: 09.02.2023 um 20:21 Uhr
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Aktualisiert: 10.02.2023 um 15:48 Uhr
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Mehr als 100'000 Helfer sind in der Türkei im Einsatz, darunter auch der Schweizer Arzt Franz Martig.
Foto: Benjamin Fisch

Nach dem Todes-Beben suchten die Menschen verzweifelt in den Trümmern nach Überlebenden. Immer wieder zogen die Retter Verschüttete ans Tageslicht. Darunter sogar Babys und kleine Kinder. In der Stadt Antakya am südlichsten Zipfel der Türkei etwa holten die Helfer einen kleinen Buben aus den Trümmern.

Die kleinen Wunder machten den Rettern Mut, auch wenn die Todeszahlen weiter steigen. Allein in der Türkei kostete das Beben über 16'000 Menschen das Leben, sagte Präsident Recep Tayyip Erdogan (68) am Donnerstag.

Mehr als 100'000 Helfer sind in der Türkei nach Regierungsangaben im Einsatz. Teilweise mit blossen Händen räumten sie in den Ruinen Trümmerteile zur Seite, in der Hoffnung Hilferufe hören zu können und Überlebende zu finden. Doch mittlerweile herrscht eine andere Stimmung in Antakya, wie Blick-Reporter Benjamin Fisch vor Ort berichtet. «Die Hoffnung, noch Überlebende zu finden, haben viele inzwischen aufgegeben. Die Verzweiflung wandelt sich in Akzeptanz.» Der Grund: Inzwischen sind mehr als 72 Stunden vergangen. Wer noch nicht gerettet wurde, für den kommt wahrscheinlich jede Hilfe zu spät.

«Vor zwei Tagen flehten die Leute um Hilfe»

Auch der Schweizer Arzt Franz Martig (50) spürt den plötzlichen Wandel. Blick-Reporter Fisch durfte den Mediziner bereits vor zwei Tagen bei seiner Arbeit in Antakya begleiten. Nun ist alles anders. «Vor zwei Tagen flehten die Leute um Hilfe und wollten uns fast aus dem Auto ziehen, jetzt ist bei ihnen vor allem das Gefühl der Hoffnungslosigkeit spürbar», beschreibt Martig die Lage vor Ort. Aufgeben werden die Retter deshalb aber nicht. Noch immer sind Suchtrupps unterwegs und hoffen auf leises Klopfen oder Hilferufe aus den Ruinen.

«So lange es Lebenszeichen gibt, schaffen wir weiter», sagt Sebastian Eugster (49), Teamleader der Schweizer Rettungskette. Er und sein Team hätten schon neun Menschen aus den Trümmern gezogen. «Das gibt uns Energie weiterzumachen, auch wenn es hart ist und die Chancen, Lebende zu finden, schwinden.» Die Arbeit sei auch emotional schwierig. Besonders, wenn man verzweifelten Angehörigen erklären muss, dass man nicht helfen könne. Doch da wo es gehe, versuche man alles in Bewegung zu setzen.

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Die Menschen brauchen Wasser, Lebensmittel und Medikamente

Gleichzeitig sei es aber auch wichtig, dass die Menschen Hilfe erhalten, die durch das Erdbeben alles verloren haben. Viele stehen vor den Trümmern ihrer Existenz. Familien und Freunde sind tot, ihre Häuser liegen in Schutt und Asche.

Manche finden in Autos Unterschlupf. Viele andere müssen auf der Strasse schlafen. Die Situation ist kritisch. Es gibt keinen Strom. Kaum Wasser, Lebensmittel und Medikamente. Es fehlt an warmer Kleidung. Gleichzeitig wird es gerade in der Nacht bitterkalt. Die Temperaturen sinken unter Null.

Sobald es dunkel wird, leuchten die vielen kleinen Feuer auf, die von den Überlebenden entfacht werden, um wenigstens etwas Wärme zu bekommen. Eines ist klar: Diese Menschen brauchen Hilfe – und zwar sofort. Doch bislang gelangen nur vereinzelt Lastwagen mit Decken, Wasser und Lebensmitteln in die Krisengebiete. Auf den Strassen in Richtung Antakya staut sich der Verkehr.

Bis zu 23 Millionen Menschen betroffen

Aus dem ganzen Land machen sich Helfer auf den Weg in die Region. Im Stau in die schwer getroffene Stadt Antakya stehen vollbeladene Lastwagen aus der ganzen Türkei, Linienbusse aus dem Westen des Landes, die zu Helfertransportern umfunktioniert worden sind – und auch Leichenwagen.

Auch Tage nach dem verheerenden Beben der Stärke 7,8 ist das ganze Ausmass der Zerstörungen nicht abzusehen. Nach Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) könnten bis zu 23 Millionen Menschen von den Folgen des Bebens betroffen sein.

Nach Einschätzung von Fachleuten könnte die Zahl der Toten nach der Erdbebenkatastrophe erheblich steigen. Schnelle Hochrechnungen auf Basis empirischer Schadensmodelle liessen bis rund 67'000 Todesopfer erwarten, teilte Andreas Schäfer vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) am Donnerstag in Deutschland mit. Die Beben gehörten wahrscheinlich zu den 20 tödlichsten Erdbeben weltweit seit dem Jahr 1900, teilte das KIT mit. Die wirtschaftlichen Schäden werden auf mehrere Milliarden Dollar geschätzt.


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