Wie weit kann sie gehen? Diese Frage scheint für die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni (45) im Zentrum zu stehen. Und zwar in mehrere Richtungen. Sie versucht derzeit, einen Spagat zwischen Geld und Ideologie zu schaffen. Während sie international vor allem mit Blick auf die Finanzen Italiens äusserst geschmeidig auftritt, so schärft sie nach innen ihr rechtsextremes Profil, durch das sie den Wahlkampf gewonnen hat.
Und das geht so, beleuchtet man ihre gut einmonatige Amtszeit: «Il Presidente», wie sich Meloni neuerdings mit der männlichen Form ansprechen lässt, kümmert sich nicht nur ums Finanzielle, sondern reist auch ans Europäische Parlament in Brüssel oder zum G20-Gipfel auf dem indonesischen Bali. Andererseits sorgen ihre Minister und Staatssekretäre mit ultrakonservativen Äusserungen bei den Italienern regelmässig für Empörungsschreie.
Italiens Bildungsminister: «Es lebe die Erniedrigung»
So liess der Minister für Bildung und Leistung, Giuseppe Valditara (61), verlauten: «Es lebe die Erniedrigung.» Wer einen Fehler mache, der verdiene Schmach. Gesundheitsstaatssekretär Marcello Gemmato (49) wiederum behauptete: «Es gibt keinen Beweis dafür, dass die Pandemie ohne Impfstoff schlimmer verlaufen wäre.» Zudem orchestrierte Innenminister Matteo Piantedosi (59) eine absurde Hetzjagd gegen illegale Rave-Parties. Deren Veranstalter sollen abgehört werden und bis zu sechs Jahre Haft kassieren, forderte Piantedosi – das Strafmass für Vergewaltiger.
Die andere Seite der Politik, die der «Spiegel» mit «Aussen hui, innen pfui» tituliert, lässt sich aktuell am Haushaltsgesetz illustrieren. Meloni schickte es zur Begutachtung nach Brüssel. Darin wird die Arbeitslosen- und Sozialhilfe reduziert, für langjährige Beitragszahler ein Renteneintritt mit 62 ermöglicht sowie eine «Flat Tax» für Freiberufler ausgeweitet.
Die Ministerpräsidentin strich zudem milliardenschwere Subventionen fürs Tanken zusammen und konzentrierte sich darauf, mit den verfügbaren Mitteln vor allem die Energiekrise zu bekämpfen. Das freut die reichen EU-Geberstaaten aus dem Norden, die Italien immer wieder Schlendrian bei Reformen und wenig Haushaltsdisziplin vorwerfen.
Was ist ihr Kurs – gegen oder mit Europa?
Ministerpräsidentin Meloni, die zuvor oft gegen Europa polemisierte, setzt zurzeit also die Politik ihres Vorgängers, dem Ex-Chef der Europäischen Zentralbank Mario Draghi (75), fort. Dieser gilt in Europa als Retter der italienischen Stabilität. So schreibt es die «Frankfurter Allgemeine Zeitung», und auch Italiens Aussenpolitik zeichnet dieses Bild. Meloni hat gerade die Waffenlieferungen an Kiew ohne grosses Aufsehen um ein Jahr verlängert.
Daran werden ihre politischen Partner kaum grosse Freude haben. Kurz nach ihrer Wahl rechtfertigte ihr Koalitionspartner Silvio Berlusconi (86) den Angriffskrieg seines Freundes Wladimir Putin (70) gegen die Ukraine, und ihr Vizepremier Matteo Salvini (49) hatte die Russlandsanktionen kritisiert.
In den kommenden Wochen zeigt sich, ob Meloni eine nachhaltige «Draghisierung» ihrer Politik betreibt. Denn Brüssel ist gerade dabei, Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban (59) etliche EU-Milliarden zu streichen, weil er den Rechtsstaat untergräbt. Wie wird sich Meloni bis am Donnerstag verhalten, wenn der finale Entscheid fallen soll? Stellt sie sich auf die Seite ihres ungarischen Gesinnungsfreundes, und wenn ja, in welcher Form?
Die italienische Ministerpräsidentin ist wegen der Rekordverschuldung ihres Landes selbst auf Hilfsmilliarden der EU angewiesen, weshalb sie kein Interesse daran haben dürfte, Brüssel und ihre EU-Partner zu verstimmen.