Wenn sich Joe Biden (78) und Wladimir Putin (68) am Mittwoch um 13 Uhr in Genf treffen, stehen Themen wie Abrüstung, Klima und Sanktionen im Zentrum. Vier bis fünf Stunden wollen sich die beiden Präsidenten für Gespräche Zeit nehmen. Blick zeigt, worüber die beiden mächtigsten Männer wohl reden werden und wie die Chancen auf eine Einigung stehen (Notenskala 1–6).
1. Abrüstung
Fakt Es ist das Thema, das in Genf im Fokus steht. 93 Prozent aller 13'400 Atomwaffen dieser Welt könnten auf Knopfdruck von Biden oder Putin bedient werden. Nur schon das Zünden einer einzigen Atomwaffe wäre verheerend.
Einschätzung Schon kurz nach der Amtsübernahme hatte Biden mit Putin vereinbart, den von Donald Trump (75) ausgesetzten atomaren Abrüstungsvertrag New Start um fünf Jahre zu verlängern. Das macht Hoffnung. Die Abmachungen müssen aber noch konkretisiert und vor allem auch umgesetzt werden. Wegen der zurzeit angespannten Lage zwischen den beiden Staaten wird es in Genf dieses Mal wohl nicht mehr als ein Bekenntnis in der Art von «Es gilt einen Atomkrieg zu verhindern» geben.
Chance auf Einigung: 3
2. Klima
Fakt Über den Klimaschutz sprechen die beiden nicht zum ersten Mal. Während Biden fast zwei Billionen Dollar in den Green Deal steckt, ist auch Putin bereit, «eine ganze Reihe» gemeinsamer Klimaschutzprojekte anzubieten. Denn sein Land ist mit Waldbränden und dem Auftauen von Permafrost in Sibirien besonders betroffen. Putin bezeichnet den Klimaschutz als verbindendes Element zwischen Westen und Osten.
Einschätzung Endlich ein Thema, das vereint! Allerdings kann sich Russland, mit seiner Grösse ein wichtiger Player im Pariser Abkommen, Investitionen in neue Technik kaum leisten. Zu heruntergewirtschaftet ist das Land. Biden wird seinen Kampf bekräftigen, Putin wird zustimmend nicken.
Chance auf Einigung: 4
3. Corona
Fakt Seit Biden in den USA am Drücker ist, geht es mit Impfen vorwärts. Auch Putin hat ein hohes Impftempo eingeschlagen und ärgert sich darüber, wenn in einzelnen Regionen Impfungen verzögert werden. Doch was nützt es, wenn einzelne Länder ihre Bewohnerinnen und Bewohner impfen, ein grosser Teil der Welt aber wegen Armut dem Virus ausgesetzt bleibt? Bei der Bekämpfung der Pandemie braucht es eine weltweite Koordination.
Einschätzung Beide Staaten senden Vakzine in ärmere Länder. Russland beliefert vor allem Schwellenländer, die beim Verteilkampf um Produkte der westlichen Hersteller leer ausgegangen waren. Biden und Putin müssen gemeinsam die weissen Flecken auf der Weltkarte entfernen und dafür sorgen, dass auch in abgelegenen und armen Regionen das Virus gestoppt wird. Ein Projekt, mit dem sich beide profilieren können und das keinem wehtut.
Chance auf Einigung: 5
4. Menschenrechte
Fakt Giftanschläge auf Oppositionelle, Verfolgung von Homosexuellen, Angriffe auf Demonstranten: Biden hat angekündigt, dass er mit Putin über Menschenrechte in Russland reden wolle. Ende Mai sagte er: «Ich werde Präsident Putin in zwei Wochen in Genf treffen, und ich werde deutlich machen, dass wir nicht zusehen werden, während sie diese Rechte verletzen.»
Einschätzung Putin hat bereits angedeutet, was er von Bidens Ansage hält: Er hat kurzerhand die Organisationen des vergifteten Kreml-Kritikers Alexei Nawalny (45) verbieten lassen. Nein, Putin wird sich von niemandem in innenpolitische Angelegenheiten dreinreden lassen. Eine konstruktive Diskussion über dieses Thema ist zum Vornherein zum Scheitern verurteilt.
Chance auf Einigung: 1
5. Sanktionen
Fakt Wegen der Annexion der Krim, der Einmischung in die US-Wahlen im November sowie Hackerangriffen haben die USA und die EU Russland mit Sanktionen belegt. In Washington heisst es, eine der wichtigsten Strategien Moskaus sei gewesen, Biden und dessen Familie im Zusammenhang mit Geschäften in der Ukraine Korruption vorzuwerfen. Biden sagte über Putin: «Er wird seinen Preis dafür bezahlen.»
Einschätzung Kann man unter solchen Vorgaben und nach persönlichen Angriffen ein lösungsorientiertes Gespräch führen? Wohl mit nur kleinem Erfolg. Wegen der schmerzhaften Sanktionen wird Putin aber Biden wenigstens zuhören müssen. Zu hoffen ist, dass solche privaten Sticheleien andere Traktanden nicht negativ beeinflussen.
Chance auf Einigung: 2
6. China
Fakt Der Schulterschluss mit Europa zeigt: Die USA holen sich die mit Trump verlorenen Freunde zurück. Derweil bändelt Moskau mit Peking an. Der russische Botschafter in Peking, Andrey Denisow (68), sagte, dass Russland alle chinarelevanten Themen, die in Genf diskutiert werden, auch mit Peking besprechen würde.
Einschätzung Der Eindruck täuscht. Russlands Schmeicheleien mit China sind weniger als wahre Freundschaft, sondern eher als Druckmittel gegen die USA zu werten. Gerade wenn es um globale Themen wie Abrüstung und Pandemie geht, müssen alle Grossen als Partner zusammenspannen. Bei einem weiteren Gipfel müsste auch China ins Boot geholt werden.
Chance auf Einigung: 4
7. Ukraine-Konflikt
Fakt Schon über 13'000 Tote hat der Krieg in der Ostukraine in sieben Jahren gefordert. Ein Ende ist nicht in Sicht. Vor wenigen Wochen hat Putin seine Armee an der Grenze aufmarschieren lassen und die Manöver in der Luft und auf dem Wasser verstärkt. Die USA ihrerseits haben der Ukraine eben weitere Militärhilfen im Wert von 150 Millionen Dollar zugesichert.
Einschätzung Mit seinem Aufmarsch an der ukrainischen Grenze versucht Putin wohl unter anderem auszuloten, wie weit er bei Biden gehen kann. Der aber lässt für solche Spielchen keinen Raum. Auch ist Putin klar, dass mit einem Einmarsch in der Ukraine das Pipelineprojekt Nord Stream 2 gestorben wäre und er kein russisches Gas nach Europa verkaufen könnte.
Chance auf Einigung: 2