Sehr geehrte Präsidenten Biden und Putin,
obwohl Sie die beiden Personen sind, die 90 Prozent der weltweiten Atomwaffenarsenale kontrollieren, bin ich mir nicht sicher, ob Sie die tatsächliche Wirkung dieser Waffen kennen. Denn Sie haben nie jene Unmenschlichkeit gesehen, die auch nur eine dieser Waffen Menschen antut.
Die 89-jährige Setsuko Thurlow, die mit mir 2017 den Friedensnobelpreis im Namen der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen entgegennahm, hat das. Als 13-Jährige überlebte sie den Bombenangriff auf Hiroshima und beschreibt, wie sie an einem normalen Morgen in der Schule einen blendend weissen Blitz sah. Danach überkam sie ein Gefühl des Schwebens in der Luft und dann totale Dunkelheit.
Sie beschreibt, wie sie aus den Trümmern kroch, als ihre Schule pulverisiert wurde. Die Ruinen standen in Flammen und verbrannten die meisten ihrer Klassenkameraden bei lebendigem Leib. Wie sie Leichen und unvorstellbare Verwüstungen sah, als sie durch ihre zerstörte Stadt ging, und Prozessionen von geisterhaften Gestalten, die zum kühlenden Fluss liefen. Es waren Menschen, die nicht mehr menschlich aussahen.
Das ist die Realität von Atomwaffen. Das ist es, was Sie dem Rest der Welt seit 75 Jahren jeden Tag anzuwenden drohen.
Die Schwedin Beatrice Fihn (39) ist seit 2014 Direktorin der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (Ican) mit Sitz in Genf. Die aus Göteborg stammende Fihn hat in Stockholm Internationale Beziehungen und in London Internationales Recht studiert. Ihr Weg führte über die Women's International League for Peace and Freedom, dem Genfer Zentrum für Sicherheitspolitik, und eine Genfer Bank zur Ican, die 2017 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde.
Die Schwedin Beatrice Fihn (39) ist seit 2014 Direktorin der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (Ican) mit Sitz in Genf. Die aus Göteborg stammende Fihn hat in Stockholm Internationale Beziehungen und in London Internationales Recht studiert. Ihr Weg führte über die Women's International League for Peace and Freedom, dem Genfer Zentrum für Sicherheitspolitik, und eine Genfer Bank zur Ican, die 2017 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde.
Während Sie Ihren Tag im sommerlichen Genf verbringen und auf einen wunderschönen blauen See und schneebedeckte Berge blicken, ist es schwer vorstellbar, dass das, was in Hiroshima und Nagasaki geschah, jemals wieder passieren könnte. Aber gerade heute ist das Risiko eines Atomwaffeneinsatzes höher als während des ganzen Kalten Kriegs. Wissenschaftler und Atomwaffenexperten warnen, dass das Risiko weiter steigen wird und dass ein Kind, das heute geboren wird, im Laufe seines Lebens mit grösserer Wahrscheinlichkeit einen Atomkrieg erleben wird als nicht.
Nach heutigen Massstäben werden die Bomben, die in Hiroshima und Nagasaki eingesetzt wurden und über 215'000 Zivilistinnen und Zivilisten töteten, als «kleine» Atomwaffen betrachtet. Selbst wenn eine einzige Bombe eingesetzt wird, wird es keine Kapazitäten geben, um den leidenden Menschen wirksame Hilfe zu leisten. Es wird keine Hilfe kommen.
Die einzige Lösung ist die Abschaffung der Atomwaffen. Das muss Ihre Hauptaufgabe sein, wenn Sie hier in Genf zusammenkommen. Zum Glück für Sie hat der Rest der Welt bereits einen Teil der schweren Arbeit geleistet. Im Januar ist der Vertrag der Vereinten Nationen über das Verbot von Atomwaffen in Kraft getreten, der diese Waffen nach internationalem Recht illegal macht. Immer mehr Regierungen schliessen sich diesem Vertrag an. Die Stadt Genf, in der Sie sich diese Woche befinden, ist eine von Hunderten von Städten auf der ganzen Welt, die den Vertrag inzwischen unterstützen.
Vor fast 40 Jahren, im Jahr 1985, trafen sich die Präsidenten Gorbatschow und Reagan in Genf und leiteten eine nukleare Abrüstung ein. Im Laufe des Jahrzehnts nach diesem Gipfel haben die Vereinigten Staaten mit der ehemaligen Sowjetunion, später Russland, ihre Bestände um Zehntausende von Sprengköpfen drastisch reduziert.
In Genf, der internationalen Stadt, die für die Förderung von Frieden und Abrüstung bekannt ist, haben Sie es in der Hand, selber einen historischen Meilenstein zu setzen. Unsere Zukunft hängt davon ab.
Mit freundlichen Grüssen,
Beatrice Fihn
Geschäftsführende Direktorin
Internationale Kampagne zur Abschaffung von Nuklearwaffen
Friedensnobelpreis 2017