Er gilt als grösster politischer Rivale von Israels Regierungschef Benjamin Netanyahu (74) und als dessen aussichtsreichster Nachfolger bei möglichen Neuwahlen: Oppositionschef Benny Gantz (65). Für Samstagabend hatte er eine Pressekonferenz angekündigt, die er nach der Mitteilung über die Befreiung von vier Hamas-Geiseln im Gazastreifen aber kurzfristig absagte.
Die Medien hatten spekuliert, dass der Chef der Partei der Nationalen Einheit den Termin angesetzt hatte, um seinen Rücktritt als Minister aus dem Kriegskabinett bekannt zu geben. Netanjahu rief Gantz am Samstagabend auf, seine Rücktrittdrohung nicht umzusetzen. «Verlassen Sie nicht die Notstandsregierung», erklärte er im Onlinedienst X. Es sei die Stunde «der Einheit und nicht der Spaltung».
Umfragen zufolge hätte Gantz bei einem Auseinanderbrechen der Regierung und vorgezogenen Neuwahlen gute Chancen, Netanjahu im Amt abzulösen. Der angesehene Ex-Verteidigungsminister und frühere Armeechef hatte nach dem beispiellosen Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober die Oppositionsrolle zurückgestellt und war dem Kriegskabinett als Minister ohne Ressort beigetreten. Mitte Mai hatte Gantz dann aber mit seinem Rücktritt gedroht, sollten Netanjahu und seine rechtsreligiöse Regierung bis zum 8. Juni keinen Nachkriegsplan für den Gazastreifen vorlegen.
Der Krieg war durch einen beispiellosen Grossangriff der radikalislamischen Hamas auf Israel ausgelöst worden, bei dem israelischen Angaben zufolge 1194 Menschen getötet wurden. Zudem wurden 251 Menschen als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Israel geht seither massiv militärisch im Gazastreifen vor. Nach Hamas-Angaben wurden dabei bislang mehr als 36'800 Menschen getötet.
Studium in den USA
Der von Gantz geforderte Nachkriegsplan für den Gazastreifen soll strategische Ziele enthalten. Dazu gehören die Entmachtung der Hamas, die Entmilitarisierung des Gazastreifens, die Gewährleistung der israelischen Sicherheitskontrolle über das Gebiet und die Rückkehr der Geiseln. Darüber hinaus soll nach dem Willen Gantz' eine «amerikanische, europäische, arabische und palästinensische Verwaltung» geschaffen werden, welche die zivilen Angelegenheiten im Gazastreifen regelt.
Netanjahu hatte die Forderungen als «leere Worte» zurückgewiesen und Gantz vorgeworfen, dass der Plan zu einer «Niederlage für Israel, der Aufgabe der meisten Geiseln, einer weiterhin intakten Hamas und der Schaffung eines palästinensischen Staates» führen werde.
Gantz wurde am 9. Juni 1959 im Süden Israels als Sohn von Holocaust-Überlebenden geboren. Nach eigenen Worten leitet er seine politische Grundüberzeugung aus der Geschichte seiner Eltern ab: «Das jüdische Volk und der jüdische Staat werden nie wieder ihr Schicksal in die Hände anderer legen. Wir werden uns selbst beschützen und die Zukunft unseres Volkes sichern.»
1977 wurde Gantz zur Armee eingezogen und machte dort rasch Karriere. Nach einem Studium der Geschichte und der Politikwissenschaft in Israel absolvierte er einen Master-Studiengang in nationalem Ressourcenmanagement an der National Defence University in den USA.
Biden-Regierung hält nichts von Gantz-Rücktritt
Zwischen 2005 und 2009 diente der verheiratete Vater von vier Kindern als Militärattaché in den USA. Von 2011 bis 2015 war er Generalstabschef, von Mai 2020 bis Dezember 2022 amtierte er als israelischer Verteidigungsminister. Seit Oktober 2023 gehört Gantz neben Verteidigungsminister Yoav Gallant (65) und Regierungschef Netanyahu sowie Ex-Armeechef Gadi Eizenkot (64) und dem Minister für strategische Angelegenheiten, Ron Dermer (53), dem Kriegskabinett an.
Zuletzt traten die Spannungen zwischen Gantz und Netanyahu immer offener zutage. Nicht zuletzt Gantz' Besuche in den USA und Grossbritannien sorgten bei Netanyahu für Verstimmung.
Nach Einschätzung des Politikwissenschaftlers Reuven Hazan von der Hebräischen Universität Jerusalem reiste Gantz nach Washington und London, um dort zu zeigen, dass er das richtige Profil für einen künftigen Regierungschef habe. Was die Nachkriegszeit angeht, steht Gantz demnach der US-Position weitaus näher als Netanyahu.
Allerdings berichtete der Sender Kan am Freitag, dass die US-Regierung versucht habe, Gantz für die Dauer der derzeitigen Verhandlungen über eine Feuerpause und die Freilassung der Hamas-Geiseln von seinem angekündigten Rücktritt abzubringen, um die Chancen auf ein Abkommen nicht zu gefährden. Laut aktuellen Umfragen ziehen die meisten Israelis bei der Frage der Eignung für das Amt des Ministerpräsidenten Gantz derzeit Netanyahu vor. Darüber hinaus werden Gantz' zentristischer Partei in fast allen Umfragen erhebliche Zugewinne bei der nächsten Wahl vorausgesagt. Die Partei hatte vergangene Woche einen Gesetzentwurf zur Auflösung des israelischen Parlaments vorgelegt und Neuwahlen gefordert.