Am Anfang war die Lüge. Die grosse Lüge von Wladimir Putin (69), der stets behauptet hatte, er wolle gar nicht in die Ukraine eindringen und sogar zum Rückzug geblasen habe. Er hat mit seinen Worten viele getäuscht, nicht aber die Amerikaner, die immer von einem bevorstehenden Einmarsch gewarnt hatten.
Lügen und Propaganda gehören zur Kriegsführung. Nach dem Start der Invasion am Donnerstag finden nicht nur erbitterte Kämpfe um die ukrainischen Städte statt, auch eine Propagandaschlacht ist ausgebrochen. Ziel der Propaganda ist immer: sich selber ins beste Licht zu rücken und den Gegner niederzumachen.
Auch der Einmarsch selber begann mit einem Griff in die Lügenkiste. In einer wirren Rede behauptete Putin, dass die Ukraine an der Atombombe baue, gegen die russischsprechende Bevölkerung im Donbass Völkermord begehe und aus lauter Faschisten bestehe.
Kreml geht gegen Medien vor
Alles falsch. Aber leider bekommen viele Russen die Wahrheit nicht zu hören. Eine Ukrainerin, die mit ihrer Familie von Kiew in den Westen des Landes geflohen ist, sagt zu Blick: «Als ich mit meiner Schwester in Moskau telefonierte und ihr Bilder von der Zerstörung schickte, fiel sie aus allen Wolken. Sie wusste nichts von einem Krieg, sondern nur von einer sogenannten Friedensmission der Russen in der Ukraine.»
Dafür, dass die Russen nur die offizielle Darstellung erreicht, gibt es die Medienaufsicht Roskomnadsor. Sie forderte alle Medien auf, über das Geschehen ausschliesslich anhand «offizieller russischer Quellen» zu berichten. Sonst drohen hohe Bussen und Blockierungen.
Ein Onlinemedium aus dem sibirischen Krasnojarsk musste nach einer entsprechenden Drohung eine Meldung über den Beschuss ukrainischer Städte entfernen. Laut Russlands Verteidigungsministerium werden ukrainische Städte nicht beschossen, sondern nur militärische Ziele und dies «punktgenau».
In Russland wurde vor kurzem auch dem Sender Deutsche Welle die Lizenz entzogen. Auf der anderen Seite verbreitet in Deutschland das russische Medium RT DE weiterhin Propaganda, obwohl es auch auf 1. Februar ein Sendeverbot erhielt. Der Gang vor Gericht hat aufschiebende Wirkung.
Vorsicht vor Zahlen
Im Krieg selber streut Putin weiterhin falsche Fakten. So hat er am Samstag als Grund für die Fortsetzung der Offensive behauptet, dass der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski (44) Verhandlungen ablehne. Tatsache ist, dass Selenski auf jeden Fall verhandeln will, aber nicht wie von Russland gefordert in Belarus, das sich an der Aggression gegen die Ukraine beteiligt.
Mit Vorsicht zu geniessen sind insbesondere Zahlen über Opfer. Über hohe Verluste auf der Gegenseite zu berichten, motiviert die eigene Seite und macht den Gegner schwach. Über zivile Opfer und betroffene Kinder auf der eigenen Seite zu berichten, schürt Mitleid. Am Sonntag berichteten die ukrainischen Streitkräfte, dass sie 4300 russische Soldaten getötet hätten. Eine hohe Zahl, die sich nicht belegen lässt.
Der Schriftsteller Wladimir Kaminer (54), Autor von «Russendisko» sprach in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur von einem «merkwürdigen Gefühl» in seinem russischstämmigen Bekanntenkreis. «Unsere Propaganda hat uns immer erzählt, was zu tun ist, wenn deine Heimat in Gefahr ist», sagte er. «Aber wenn deine Heimat andere Länder angreift – darauf wurden meine Landsleute nicht vorbereitet.»
Es sei daher sehr wichtig, «dass wir uns gerade bei einem solchen Tsunami von Falschinformationen ein klares Bild erhalten von dem, was eigentlich Sache ist».