Vor dem Gesetz in Italien gilt als Italiener, wer italienische Vorfahren hat. Dieses «Recht des Blutes» kommt bei den Nachfahren von italienischen Auswanderern zur Anwendung. Ein Entscheid des höchsten Gerichts in Italien, dem Kassationsgericht in Rom, erleichtert das Verfahren der Wiedereinbürgerung seit rund zwei Jahren. Dies sorgt jetzt für einen riesigen Ansturm von Nachfahren italienischer Auswanderer nach Südamerika.
Wie «Corriere della Sera» berichtet, bringt die Flut an Anträgen die Behörden zunehmend an den Anschlag. In der Region Venetien etwa, wo sich besonders viele Brasilianer einbürgern lassen wollen, muss sich das Appellationsgericht mit jährlich rund 12'000 Einsprachen befassen.
Anträge machen 68 Prozent der Fälle aus
Gerichtspräsident Carlo Citterio schlägt Alarm: «Die Anerkennung der Staatsbürgerschaft erfolgt automatisch auch für Personen mit sehr weit entfernten familiären Bindungen und ohne Kontakt zu Italien.» Seinen Angaben zufolge machen die Einbürgerungsanträge inzwischen rund 68 Prozent der Fälle an seinem Gericht aus. Citterio setzt sich deshalb dafür ein, eine Überprüfung des Vorgehens in Betracht zu ziehen.
Die Wiedereinbürgerungen von Nachfahren italienischer Auswanderer bringt auch die Gemeinden in Bedrängnis: Diese müssen die Brasilianer, Argentinier und Venezolaner bei den Einwohnerämtern registrieren. Weil mit jedem Einbürgerungsgesuch auch bis zu 15 Familienmitglieder erfasst werden müssen, ist der Aufwand von den Behörden teilweise kaum zu stemmen.
Bürgermeister protestiert
Die Probleme sind vor allem bei kleinen Gemeinden mit kleinen Verwaltungen spürbar. Die venetische Gemeinde Val di Zoldo mit 2745 Einwohnern etwa muss 551 Brasilianer mit Anhang in die kommunalen Einwohnerregister aufnehmen. Bürgermeister Camillo De Pellegrin: «Um dies zu schaffen, müssten wir das Gemeindehaus für alle anderen Bürgerinnen und Bürger während sechs Monaten schliessen.»
Aus Protest gegen den Ansturm hat De Pellegrin am Gebäude der Gemeindeverwaltung neben der Flagge von Val di Zoldo, der italienischen sowie der EU-Flagge auch eine brasilianische Flagge aufgehängt. «Wir werden den Angelegenheiten der italienisch-brasilianischen Bürger Vorrang einräumen, um zu vermeiden, dass die Gemeinde weiteren Berufungen, Beschwerden oder Schadensersatzanträgen ausgesetzt wird», kommentiert De Pellegrin bitterböse.