ARD-Journalist Peter Zudeick (74) ist Merkel-müde
«Ihre Vorgänger hatten immerhin ein Programm mit Inhalt»

Angela Merkel tritt nach 16 Jahren als deutsche Kanzlerin zurück. Sie sei viel zu lange im Amt gewesen, klagt Polit-Journalist Peter Zudeick, der über die unrühmlichen Rücktritte aller bisherigen Kanzler ein Buch geschrieben hat. Blick verrät er seine Lösung.
Publiziert: 06.09.2021 um 11:47 Uhr
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Peter Zudeick bedauert, dass es bei deutschen Kanzlerschaften nie eine Happy End gab.
Foto: WDR/Bettina Fürst-Fastré
Interview: Guido Felder

Am 26. September wählt Deutschland einen neuen Kanzler oder eine Kanzlerin. Angela Merkel tritt nach 16 Jahren ab – «wenig rühmlich», wie der deutsche Polit-Journalist und Satiriker Peter Zudeick (74) in seinem neuen Buch «Verbrandt, verkohlt und ausgemerkelt – Vom Ende deutscher Kanzlerschaften» schreibt.

Er macht darin zum Thema, dass bisher jeder deutsche Regierungschef den Abgang verpasst und jede Kanzlerschaft bitter geendet hat. Zudeick: «Konrad Adenauer musste aus dem Amt getragen werden, Ludwig Erhard wurde rausgeschubst, Willy Brandt zum Rücktritt gezwungen, Helmut Kohls Kanzlerschaft endete in Skandalen und Gerhard Schröder kegelte sich selbst aus dem Spiel.»

Warum gab – und gibt es nun mit Merkel – nie ein Happy End? Blick sprach mit Zudeick über das, wie er sagt, «eigenartige und ganz besondere Phänomen».

Blick: Herr Zudeick, sind Sie froh, dass Angela Merkel zurücktritt?
Peter Zudeick:
Früher wäre mir ihr Rücktritt lieber gewesen. Es gab ja Anlass genug dazu, etwa wie sie bei der Eurokrise mit den Südländern umgegangen ist. Das war eine blanke Katastrophe und grenzwertig. Inzwischen ist es mir egal.

Journalist und Satiriker

Peter Zudeick (74) arbeitet in Köln (D) als freier Korrespondent für verschiedene ARD-Rundfunkanstalten. Er hat sich nicht nur mit scharfen politischen Analysen, sondern auch mit satirischen Rückblicken einen Namen gemacht. Der promovierte Philosoph hat mehrere Bücher veröffentlicht, jetzt erscheint im Westend Verlag sein neustes Werk: «Verbrandt, verkohlt und ausgemerkelt – Vom Ende deutscher Kanzlerschaften».

Peter Zudeick (74) arbeitet in Köln (D) als freier Korrespondent für verschiedene ARD-Rundfunkanstalten. Er hat sich nicht nur mit scharfen politischen Analysen, sondern auch mit satirischen Rückblicken einen Namen gemacht. Der promovierte Philosoph hat mehrere Bücher veröffentlicht, jetzt erscheint im Westend Verlag sein neustes Werk: «Verbrandt, verkohlt und ausgemerkelt – Vom Ende deutscher Kanzlerschaften».

Warum?
Weil vermutlich Laschet neuer Kanzler und sich sowieso nichts ändern wird.

Sie schreiben in Ihrem Buch, Merkel habe es «vermerkelt». Was meinen Sie damit?
Sie hat – wie schon Konrad Adenauer und Helmut Kohl – den Kardinalfehler gemacht, keinen Nachfolger und keine Nachfolgerin aufzubauen. Nun streiten sich zwei Jungs wie Kesselflicker um die Kanzlerschaft.

Sie bezeichnen Merkels Ära auch als «Irrtum».
Einige Vorgänger hatten immerhin ein Programm mit Inhalt. Adenauer baute Europa auf und trieb die Versöhnung voran, Kohl stellte die Einheit wieder her. Merkels Leistung besteht höchstens darin, dass sie es schaffte, so unglaublich lange im Amt zu bleiben.

Merkel wurde kritisiert, weil sie fröhlich eine Kino-Premiere besuchte, während die Bundeswehr Leute aus Afghanistan zurückholte. Was halten Sie von ihrem Umgang mit dem Afghanistan-Drama?
Sie hat das Thema ja geerbt, sie ist nicht treibende Kraft. Allerdings hat sie die fatale Politik auch nicht gestoppt.

2015 hiess sie Hunderttausende Flüchtlinge willkommen, was Rechtspopulisten Auftrieb gab. Ist Merkel schuld am Erstarken der AfD?
Der Erfolg der AfD war einfach eine Folge ihrer Flüchtlingspolitik, Merkel ist aber nicht «schuld» daran. Dass sie die Grenzen nicht geschlossen hat, war richtig. Sie machte nur Fehler, indem sie die anderen Staaten und ihre Koalitionspartner nicht informierte und auch nach einer Woche keine Grenzkontrollen anordnete.

Glauben Sie, dass Frau Merkel, wenn sie in diesem Jahr nochmals anträte, erneut gewählt würde?
Vermutlich schon, obwohl sie zur Verfallsgeschichte gehört und bei Politikern nicht mehr ankommt. Aber in der Bevölkerung geniesst sie immer noch grossen Rückhalt.

Gäbe es für Sie eine Möglichkeit, dass Merkel bei ihrem Endspurt das Blatt noch wenden und doch als erfolgreiche Kanzlerin abtreten könnte?
Nein. Schön wäre es gewesen, wenn es keine Pandemie gegeben hätte und sie mit ein paar Auslandreisen auf internationalen Bühnen nochmals auf Bella Figura hätte machen können.

Was muss sich ändern, damit die Deutschen ihre Kanzler in Zukunft besser in Erinnerung behalten können?
Die einzige Möglichkeit ist eine Amtszeitbeschränkung.

So traten die deutschen Kanzler ab

Konrad Adenauer (CDU), 1949–1963
Seine letzten Jahre als Kanzler waren von seinem hartnäckigen Kampf überschattet, so lange wie möglich im Amt zu bleiben – und dem vergeblichen Versuch, Ludwig Erhard als Nachfolger zu verhindern. Häufig wurde er in dieser Zeit als «der Alte» bezeichnet.

Ludwig Erhard (CDU), 1963–1966
Eine geplante Steuererhöhung gegen das Haushaltsdefizit führte zum Bruch der Koalition und kostete ihn den Kopf.

Kurt Georg Kiesinger (CDU), 1966–1969
Die CDU/CSU verlor bei der Bundestagswahl 1969 und musste SPD und FDP Platz machen, um eine Regierung zu bilden. Kiesinger, ein Kanzler mit wenig Durchsetzungsvermögen, hatte die kürzeste Amtszeit.

Willy Brandt (SPD), 1969–1974
Anlass für seinen Rücktritt war die Enttarnung des DDR-Spions Günter Guillaume, der als Referent für Parteiangelegenheiten einer der engsten Mitarbeiter Brandts gewesen war.

Helmut Schmidt (SPD), 1974–1982
Seine Koalition mit der FDP zerbrach an Differenzen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Darauf scheiterte er an einem Misstrauensvotum.

Helmut Kohl (CDU), 1982–1998
Obwohl die damalige CDU-Generalsekretärin Angela Merkel vor einer Wiederkandidatur des «alten Schlachtrosses» gewarnt hatte, trat Kohl 1998 nach 16 Jahren in einer Zeit der Stagnation nochmals an. Die CDU verlor gegen die SPD.

Gerhard Schröder (SPD), 1998–2005
Wegen der wachsenden Kritik stellte Schröder die Vertrauensfrage, die er verlor. Auch bei den Neuwahlen reichte es nicht mehr, seine SPD erlitt starke Verluste.

Angela Merkel (CDU), 2005–2021
Sie hat 2018 angekündigt, 2021 nicht mehr zu kandidieren. Für ihre Kritiker war sie zu lange im Amt, ohne etwas bewirkt zu haben. (gf)

Konrad Adenauer (CDU), 1949–1963
Seine letzten Jahre als Kanzler waren von seinem hartnäckigen Kampf überschattet, so lange wie möglich im Amt zu bleiben – und dem vergeblichen Versuch, Ludwig Erhard als Nachfolger zu verhindern. Häufig wurde er in dieser Zeit als «der Alte» bezeichnet.

Ludwig Erhard (CDU), 1963–1966
Eine geplante Steuererhöhung gegen das Haushaltsdefizit führte zum Bruch der Koalition und kostete ihn den Kopf.

Kurt Georg Kiesinger (CDU), 1966–1969
Die CDU/CSU verlor bei der Bundestagswahl 1969 und musste SPD und FDP Platz machen, um eine Regierung zu bilden. Kiesinger, ein Kanzler mit wenig Durchsetzungsvermögen, hatte die kürzeste Amtszeit.

Willy Brandt (SPD), 1969–1974
Anlass für seinen Rücktritt war die Enttarnung des DDR-Spions Günter Guillaume, der als Referent für Parteiangelegenheiten einer der engsten Mitarbeiter Brandts gewesen war.

Helmut Schmidt (SPD), 1974–1982
Seine Koalition mit der FDP zerbrach an Differenzen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Darauf scheiterte er an einem Misstrauensvotum.

Helmut Kohl (CDU), 1982–1998
Obwohl die damalige CDU-Generalsekretärin Angela Merkel vor einer Wiederkandidatur des «alten Schlachtrosses» gewarnt hatte, trat Kohl 1998 nach 16 Jahren in einer Zeit der Stagnation nochmals an. Die CDU verlor gegen die SPD.

Gerhard Schröder (SPD), 1998–2005
Wegen der wachsenden Kritik stellte Schröder die Vertrauensfrage, die er verlor. Auch bei den Neuwahlen reichte es nicht mehr, seine SPD erlitt starke Verluste.

Angela Merkel (CDU), 2005–2021
Sie hat 2018 angekündigt, 2021 nicht mehr zu kandidieren. Für ihre Kritiker war sie zu lange im Amt, ohne etwas bewirkt zu haben. (gf)

Auf acht Jahre, wie in den USA?
Das wäre vernünftig. Es käme zu einem normalen Abgang. Höchstens im letzten Amtsjahr könnte der Eindruck einer «Lame Duck» entstehen, was aber verkraftbar wäre.

Wäre es sinnvoll, wenn das Volk den Kanzler oder die Kanzlerin direkt wählen würde?
Kaum. Es würde Populisten Tür und Tor öffnen. Es ist nur schon Schwachsinn, dass bei Wahlumfragen die Frage gestellt wird, wen man als Kanzler wählen würde. Das erweckt den Eindruck, dass man ihn direkt wählen kann.

Wen werden Sie wählen?
Wenn man Laschet verhindern will, muss man der SPD die Erst- und den Grünen die Zweitstimme geben.

Sie glauben, dass Laschet das Rennen machen wird?
Ich hätte gerne unrecht, aber es wird wohl so sein. Die Union wird knapp gewinnen und die Regierung bilden können. Interessant wirds dann bei der Bildung der Koalition – es ist so spannend wie seit 1949 nicht mehr.

Warum ist Laschet schlecht für Deutschland?
Er ist kein Mann, der handelt und aufs Gaspedal drückt. Gerade beim wichtigen Thema Klima ist er unentschlossen und wiegelt ständig ab, ob Kohle ja oder Kohle nein.

Sollte die Union Laschet jetzt noch durch den im Volk viel beliebteren Markus Söder von der CSU ersetzen?
Auch die Grünen hätten nach den Vorwürfen an ihre Kandidatin Annalena Baerbock Grund, sie gegen Robert Habeck auszuwechseln. Aber es kommt bei den Wählerinnen und Wählern nicht gut an, wenn man gestehen muss, dass man sich geirrt hat.

Wie lange gäben Sie Laschet als Kanzler?
Vier Jahre. Ich werde schon bald ein weiteres Buch schreiben können …

Warum nur so kurz?
Laschet ist nicht mehr als ein Appendix der Merkel-Ära – wie damals schon Ludwig Erhard nach Konrad Adenauer. Die Unionsparteien werden sich überlegen müssen, bald eine andere Lösung zu bringen.


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