Die Flutkatastrophe trifft Deutschland zu einem politisch hochbrisanten Zeitpunkt. Bei den Bundestagswahlen in zwei Monaten entscheidet sich, wer nach 16 Jahren Angela Merkel die Macht übernimmt. Längst blasen konservative Politiker und Medien unter Führung der «Bild»-Zeitung zum Halali auf die grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock.
Gewiss: Die 40-Jährige und ihr Umfeld reagierten ziemlich stümperhaft auf Plagiatsvorwürfe gegen sie. Auch Baerbocks Nominierung im Hinterzimmer ist kein Ruhmesblatt für eine Partei, die das Kanzleramt übernehmen will.
Doch je lauter die Baerbock-Gegner heulen, desto klarer wird: Gegen die Wirkung mancher Bilder ist jede politische Kampagne machtlos. Die «Todesflut» liefert gerade viele dieser Motive: Eine Luftaufnahme des Kaffs Erftstadt-Blessem in der Nähe von Köln zum Beispiel. Wo bis vor kurzem ein Acker an den Dorfrand grenzte, öffnet sich in der Erde ein tiefer Schlund, geformt von den Wassermassen. So muss der Weltuntergang aussehen.
Jeder PR-Stunt gegen die grüne «Verbotspartei» und ihre unbedarft kommunizierende Spitze ist zwecklos: Fotos wie jenes aus Erftstadt verbindet der Betrachter unweigerlich mit dem Thema Klimapolitik. Da können die Meinungsmacher noch so darauf pochen, dass es schon immer Wetterextreme gab, dass Wetter nicht gleich Klima sei.
Angesichts von weit über hundert Toten und tausend Vermissten mag es zynisch tönen: Nach der wochenlangen Kampagne gegen Baerbock erhalten die Grünen ihr grösstes Wahlkampfgeschenk.
Überdies zeigt Baerbocks CDU-Herausforderer Armin Laschet als Ministerpräsident des schwer getroffenen Bundeslandes Nordrhein-Westfalen reichlich Mühe, in die Rolle des zupackenden Landesvaters zu finden – gestern kursierte ein Video, das ihn lachend während einer Rede des Bundespräsidenten zeigt.
Umso verrückter, was sich in Brüssel abspielt: Fernab der Katastrophe und von der hiesigen Öffentlichkeit kaum beachtet, hat die EU-Kommission Anfang Woche ein Klimapaket verkündet, das in seiner epochalen Bedeutung mit der Einführung des Euro vergleichbar ist: Ab 2035 dürfen keine Autos mit Verbrennungsmotor mehr auf den Markt kommen, Heizöl und Gas werden teurer, hohe Abgaben auf Kerosin, eine CO2-Steuer und schärfere Auflagen für Stahl- und Zementindustrie kommen hinzu. Politische und soziale Auswirkungen des «Green Deals» sind noch unbekannt.
Auf dem Kontinent nimmt die grüne Welle trotz Schweizer Volksnein zum CO2-Gesetz also längst Fahrt auf. Treibende Kraft ist EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen – eine Parteikollegin von Baerbocks Konkurrent Armin Laschet.