Angehörige und Stiftung fürchten um das Leben des inhaftierten Kreml-Kritikers Wladimir Kara-Mursa (42)
Ist er Putins nächstes Opfer?

Wie Alexei Nawalny war auch Wladimir Kara-Mursa Opfer von Giftanschlägen. Wie Nawalny wurde auch er verurteilt und in ein strenges Straflager in Sibirien verlegt. Seine Angehörigen haben Angst, dass er Putins nächstes prominentes Opfer sein könnte.
Publiziert: 20.02.2024 um 14:43 Uhr
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Aktualisiert: 21.06.2024 um 09:20 Uhr
Wladimir Kara-Mursa stand 2022 in Moskau vor Gericht.
Foto: IMAGO/SNA
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Guido FelderAusland-Redaktor

Skrupellos räumt der russische Präsident Wladimir Putin (71) alle aus dem Weg, die ihm schaden oder gefährlich werden könnten. Am Freitag ist mit Alexei Nawalny (†47) der bekannteste inhaftierte Kreml-Kritiker gestorben. Er brach im Straflager Nr. 3 in der nordwestsibirischen Polarsiedlung Charp zusammen. Von einem Giftanschlag im Jahr 2020 hatte er sich nie richtig erholt.

Offenbar waren es ebenfalls Putins Schergen, die hinter dem Mordanschlag am russischen Helikopterpiloten Maksim Kuzminow (†28) steckten. Kuzminow, der für sein Überlaufen in den Westen fast eine halbe Million Euro kassiert hatte, wurde vergangene Woche in Spanien mit mehreren Schusswunden tot aufgefunden. Geht das Morden weiter?

In russischen Gefängnissen schmoren laut der Menschenrechtsorganisation Memoria etwa 650 politische Gefangene. Nach Nawalnys Tod ist es wohl Wladimir Kara-Mursa (42), den man am besten kennt. Im April 2023 hat ihn das Moskauer Stadtgericht zu 25 Jahren Strafkolonie unter «strengen Haftbedingungen» verurteilt.

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2015 und 2017 wurden auf Wladimir Kara-Mursa Giftanschläge verübt.
Foto: Zvg

Kara-Mursa wird Hochverrat, Verunglimpfung des russischen Militärs und illegale Arbeit für eine unerwünschte Organisation vorgeworfen. Er hatte den Angriffskrieg Russland gegen die Ukraine scharf kritisiert. Auf ihn waren 2015 und 2017 gleich zwei Giftanschläge verübt worden, die er beide knapp überlebt hat.

«Gleiches Killerkommando» wie bei Nawalny

Bei der Free Russia Foundation, wo Kara-Mursa 2019 Vizepräsident wurde, macht man sich nach Nawalnys Tod grosse Sorgen. Präsidentin Natalia Arno (47), die im vergangenen Jahr ebenfalls Vergiftungssymptome aufwies, sagt zu Blick: «Es gibt Hunderte weiterer politischer Gefangener in Russland – und ich mache mir Sorgen um das Leben eines jeden von ihnen. Ich fürchte, eines der nächsten Ziele ist Wladimir Kara-Mursa.»

Kara-Mursa sei zweimal vom «gleichen Killerkommando» vergiftet worden, das auch Alexei Nawalny mit dem Nervengift Nowitschok angegriffen habe. «Wir unternehmen alles, um ihn zu befreien», sagt Natalia Arno. Dazu gehörten eine internationale Kampagne und internationale Gerichtsverfahren.

2023 hatten die Angehörigen von Kara-Mursa während Wochen nichts mehr von ihm gehört. Ende Jahr wurde bekannt gegeben, dass er in ein anderes Straflager verlegt worden ist – ebenfalls nach Sibirien, so wie es die russischen Behörden mit Nawalny gemacht hatten. In Omsk wird der prominente Häftling bis Ende Mai in einer drei auf anderthalb Meter kleinen Einzelzelle schmoren müssen. Es ist die strengste Massnahme im Strafvollzugssystem der Russen.

Schmoren in der Mini-Zelle

Am Montagmorgen hat ihn ein Anwalt aus Omsk in der Kolonie Nr. 7 besuchen können. «Wladimirs Gesundheitszustand verschlechtert sich laufend. Sein Zustand ist unvereinbar mit der Inhaftierung in einer Strafkolonie mit strengem Regime», sagt Natalia Arno. Die Bedingungen seien «quälend». Ewgenia Kara-Mursa (43) hatte Blick im Mai 2023 berichtet, dass ihr Mann in den ersten Wochen im Lager über 20 Kilo abgenommen habe und das Gefühl in den Füssen und in der linken Hand verloren.

In einem aktuellen Interview mit der «Zeit» beschreibt sie den Alltag ihres Mannes. Er dürfe im Tag anderthalb Stunden Briefe lesen und schreiben und genauso lange spazieren. Sobald er sich in der Zelle mit hochgeklapptem Bett auf einen Hocker setze und die Augen schliesse, brülle sofort jemand aus dem Lautsprecher, dass man tagsüber nicht schlafen dürfe.

Kritiker machen Mut

Wie Nawalny war auch Kara-Mursa nach den Giftanschlägen wieder nach Russland zurückgekehrt. «Er konnte nicht anders», sagt seine Frau. «In seiner Weltsicht hat er nicht das Recht, für die politisch Verfolgten zu sprechen, wenn er nicht bereit ist, ihr Schicksal zu teilen.» Dazu komme, dass ein Regime wie das von Putin auf Angst basiere und ihr Mann «Wolodja» habe zeigen wollen, dass er keine Angst habe.

Die Schicksale von Nawalny und Kara-Mursa seien tragisch, würden aber gleichzeitig Mut machen, sagt Natalia Arno. «Es ist der Beweis dafür, dass es Russen gibt, die an Demokratie und Freiheit glauben und bereit sind, dafür zu sterben.»

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