In Moskau ist der 41-jährige Putin-Kritiker Wladimir Kara-Mursa zu 25 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Sein angebliches Vergehen: Hochverrat! Der ehemalige Journalist mit russischem und britischem Pass wurde Ende April 2022 verhaftet, weil er den russischen Einmarsch in die Ukraine kritisiert hatte. Wenige Stunden vor seiner Festnahme hatte er gesagt, Russland werde von «einem Regime von Mördern» regiert.
Wladimir Kara-Mursa zählt wie Sergej Skripal (71), Alexander Litwinenko (†44), Viktor Juschtschenko (69) und Alexei Nawalny (46) zu den Giftopfern des Kremls. Kara-Mursa ist sogar gleich zweimal Ziel eines Giftanschlags geworden.
Zweimal vergiftet
Im Mai 2015 erlitt er während einer Vortragstournee für die Kreml-kritische Organisation Open Russia nach dem Mittagessen in einem Moskauer Restaurant ein plötzliches Nierenversagen und musste erbrechen. Er wurde notfallmässig ins Spital eingeliefert und lag eine Woche im Koma.
Anfang Februar 2017 wiederholte sich das Ganze. Er erwachte um vier Uhr mit Atembeschwerden, Herzrasen und sehr tiefem Blutdruck. Bevor er ohnmächtig wurde, konnte er seine Schwiegereltern wecken.
Mehr zu Moskaus Giftanschlägen
Die Ärzte stellten beide Male eine schwere Vergiftung durch eine unbekannte Substanz fest. Zu Blick sagte Kara-Mursa in einem Interview vor fünf Jahren: «Innert Stunden haben alle meine wichtigen Organe versagt. Meine Überlebenschancen lagen bei fünf Prozent.»
Bei beiden Vorfällen weigerten sich die russischen Behörden, eine Untersuchung einzuleiten. Die Enthüllungsplattform Bellingcat hat recherchiert, dass Kara-Mursa zur Zeit beider Anschläge von Mitgliedern des Giftkommandos des Inlandsgeheimdienstes FSB beschattet worden war. Die gleiche Abteilung soll auch in den Giftanschlag auf den Oppositionellen Alexei Nawalny im August 2020 involviert gewesen sein.
Hoffen auf demokratisches Russland
Die Anschläge wertete Kara-Mursa im Blick als «Reaktion auf meine jahrelange Arbeit in der russischen Opposition». Er sagte im Interview: «Ich setze mich dafür ein, dass der Westen gezielt Sanktionen gegen Einzelpersonen erhebt – gegen Leute des Putin-Regimes, die in Korruption oder Menschenrechtsverletzungen verwickelt sind.»
Er forderte damals die Schweiz auf, wie andere Länder das sogenannte Magnitski-Gesetz einzuführen, das gewisse Leute auf eine schwarze Liste setzt. «Jenen Personen, die korrupt sind und Menschenrechte verletzen, sollten zum Beispiel ein Visum, die Eröffnung von Bankkonti oder der Kauf einer Liegenschaft verweigert werden.»
Er bezeichnete es im Blick als «gefährliches Business», Gegner Putins zu sein. Dennoch gebe er nicht auf. «Wir müssen weiter machen. Wenn wir nur zuschauen, machen wir uns zum Komplizen.» Sein grösster Wunsch sei ein demokratisches Russland mit einer Regierung, welche die Gesetze und die Bürger achte und die international zu einem vertrauenswürdigen Partner werde.
Kritik an Moskau
Das Urteil des Moskauer Gerichts wird weltweit kritisiert. Die deutsche Regierung verurteilte den Gerichtsentscheid «auf das Schärfste», der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, der Österreicher Volker Türk (58), forderte Kara-Mursas «unverzügliche Freilassung».
Und EU-Aussenbeauftragte Josep Borrell (75) sagte, die EU stehe solidarisch an der Seite von allen Russen, die von den Behörden politisch verfolgt, festgenommen oder eingeschüchtert würden, nur weil sie für die Menschenrechte kämpften, die Wahrheit sagten und das Regime kritisierten.