Alles hängt an Trump
Die Ukraine steht am entscheidenden Wendepunkt – drei Szenarien

Amerika wendet sich ab, Europa formiert sich neu, die Ukraine kämpft weiter, und Putin zeigt sich siegesgewiss. Drei Jahre nach dem russischen Überfall auf die Ukraine steht der Krieg an einem entscheidenden Wendepunkt.
Publiziert: 25.02.2025 um 17:03 Uhr
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Aktualisiert: 26.02.2025 um 10:36 Uhr
Zum dritten Jahrestag des russischen Überfalls auf die Ukraine erhielt Wolodimir Selenski in Kiew hohen Besuch verschiedener europäischer Staatschefs.
Foto: keystone-sda.ch
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Samuel SchumacherAusland-Reporter

Das Schicksal der Ukraine liegt in den Händen von Wladimir Putin (72). Hört Russland auf zu kämpfen und zieht sich vom Schlachtfeld zurück, ist es mit dem Krieg vorbei. Hört die Ukraine auf zu kämpfen, ist es mit der Ukraine vorbei. An dieser simplen Tatsache hat sich seit dem russischen Überfall auf das friedliche Nachbarland vor drei Jahren nichts verändert. 

Verändert hat sich die Position der USA, Kiews bislang mit Abstand wichtigster Unterstützerin. Der Wandel vom Freund zum Fast-Feind mischt die Karten im komplexen Spiel um Krieg und Frieden in Europa neu. Drei Szenarien kristallisieren sich derzeit heraus.

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Zum dritten Jahrestag des russischen Überfalls auf die Ukraine erhielt Wolodimir Selenski in Kiew hohen Besuch verschiedener europäischer Staatschefs.
Foto: keystone-sda.ch
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USA lassen Kiew fallen, Europa kann nicht liefern, Ukraine verliert

US-Präsident Donald Trump (78) hat angekündigt, dass der Krieg «innert Wochen» vorbei sein werde. Selenski bezeichnete er als «Diktator»: einen Begriff, den er für Putin nicht verwenden wollte.

Trump will schnelle Verhandlungen mit dem Kreml-Herrscher – am liebsten ohne Europäer und Ukrainer am Tisch. Putin hat klargemacht, dass er nicht über Gebietsrückgaben sprechen wolle. Verhandlungen unter diesen Voraussetzungen kämen für die Ukraine einer Kapitulation gleich.

Europa kann die durch den amerikanischen Rückzug entstehende Lücke nicht auf die Schnelle schliessen – trotz des neuen Sechs-Milliarden-Militärpakets der EU.

Wie wahrscheinlich ist das?

Ziemlich wahrscheinlich. Trump hat kein Interesse daran, den Krieg in die Länge zu ziehen. Er will sich dem pazifischen Raum (Stichwort China) zuwenden und sich mit seinem alten Bekannten Putin aussöhnen. Europa zeigt zudem wenig Einigkeit in Sachen Ukraine, was zuletzt etwa das dürftige Ergebnis des europäischen Spitzentreffens in Paris zeigte.

Wie stabil wäre das?

Extrem instabil. An Putins Ziel, die Ukraine als unabhängige Nation zu zerstören, hat sich nichts geändert. Die russische Armee dürfte die Kampfpause dafür nutzen, sich neu zu formieren und aufzurüsten. Experten gehen davon aus, dass Putin bis in fünf Jahren in der Lage wäre, Europa erneut anzugreifen.

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USA lassen Kiew fallen, Europa kann liefern, Ukraine hält vorläufig durch

Das Beispiel Dänemark zeigt, dass das europäische Wunder machbar wäre. Die Dänen haben der Ukraine 2024 ihre gesamte Artilleriemunition abgegeben. Würden andere Länder nachziehen und würde etwa Deutschland seine Marschflugkörper vom Typ Taurus an Kiew liefern, dann wäre Kiew unter Umständen zu neuen Frontdurchbrüchen fähig. Ein zentraler europäischer Hebel wäre die Verwendung der eingefrorenen rund 200 Milliarden an russischen Vermögen.

Der Krieg ginge im besten Fall so lange weiter, bis Putin einlenken würde und zu einem aus Kiews Sicht akzeptablen Deal bereit wäre.

Wie wahrscheinlich ist das?

Ziemlich unwahrscheinlich. Den nord- und osteuropäischen Enthusiasmus für zusätzliche Militärhilfen an Kiew teilen nicht alle europäischen Staaten. Zudem zeigen sich Länder wie die Schweiz nicht bereit, die eingefrorenen Russen-Vermögen ohne Weiteres für Ukraine-Waffen anzuzapfen.

Wie stabil wäre das?

Sehr instabil. Einen europäischen Alleingang ohne amerikanisches Back-up hat es seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nie gegeben. Die Einheit des Militärbündnisses Nato wäre massiv angekratzt.

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USA schwenken um, gemeinsame Front gegen Putin, Ukraine gewinnt

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron (47), der britische Premier Keir Starmer (62) und Kanadas Regierungschef Justin Trudeau (53) sprechen in diesen Tagen bei Trump vor, um ihn umzustimmen. Ihr Argument: Wenn du jetzt mit Putin sprichst, ist das ein Zeichen der Schwäche. Wenn du stark sein willst, zeig ihm seine Grenzen auf.

Das könnte verfangen. Trump könnte einsehen, dass ein harter Bruch mit Europa nicht im amerikanischen Interesse ist. Zudem könnte die Ukraine doch noch auf Trumps Erpressungsversuch eingehen und ihm mindestens einen Teil ihrer Bodenschätze überlassen.

Wie wahrscheinlich ist das?

Wohl 50:50. Die Ukrainer selbst sind, ob der ständig wechselnden Positionen von Trumps Verhandlungsteams, laut dem «Economist» verwirrt. Dass Trump – nicht zuletzt auch auf Druck einflussreicher Kräfte in seiner eigenen Partei – doch noch von seinem Hardliner-Kurs abweichen könnte, ist möglich.

Wie stabil wäre das?

Ein gemeinsames amerikanisch-europäisches Bekenntnis zur Ukraine würde die unvorhersehbare Dynamik im Krieg aufrechterhalten, bis eine der beiden Seiten klar die militärische Oberhand innehätte. Alles andere als ein militärischer Sieg über Putin (sprich: eine Verdrängung der russischen Truppen mindestens aus den seit 2022 eroberten Gebieten) würde aber zu einer auf Jahre hinaus extrem unberechenbaren Lage führen.

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