«Der Rückzug der Russen ist das Resultat unseres Gegenangriffs»
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Cherson-Abgeordneter:«Russen-Rückzug ist das Resultat unseres Gegenangriffs»

Abzug nach acht Monaten angeordnet
Darum haben Putins Truppen Cherson wirklich verloren

Die russische Armee begründet den Rückzug aus Cherson mit der Absicht, Menschenleben retten zu wollen. Doch Militärexperten sehen andere Gründe hinter der bitteren Niederlage für Wladimir Putin.
Publiziert: 10.11.2022 um 14:50 Uhr
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Aktualisiert: 10.11.2022 um 19:20 Uhr
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Der russische Verteidigungsminister Sergei Schoigu hat den Abzug der russischen Truppen vom rechten Dnepr-Ufer in Cherson angeordnet.
Foto: keystone-sda.ch

«Die Entscheidung, das linke Dnepr-Ufer zu verteidigen, ist nicht leicht, aber wir werden das Leben unserer Soldaten und die Kampfkraft der Truppengruppe retten.» Mit diesen Worten verkündete der russische General Sergej Surowikin (67) am Mittwoch den Abzug aller russischen Truppen aus der Stadt Cherson.

Der Verteidigungsminister Sergei Schoigu (67) genehmigte diesen. «Ich stimme mit Ihren Schlussfolgerungen und Vorschlägen überein. Für uns haben das Leben und die Gesundheit der russischen Soldaten immer Priorität. Wir müssen auch die Bedrohung der Zivilbevölkerung in Betracht ziehen. (...) Führen Sie den Truppenabzug fort», sagte Schoigu in einer Sitzung, wie im Video der Nachrichtenagentur Ria Nowosti zu sehen war.

«Wir müssen die Gefahr für die Bevölkerung einsehen»
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Verteidigungsminister Russland:«Wir müssen die Gefahr für die Bevölkerung einsehen»

Demnach soll die neue Verteidigungslinie künftig am linken Dnepr-Ufer eingerichtet werden. Laut Surowikin soll der Truppenabzug «in naher Zukunft» erfolgen.

Versorgungsprobleme wegen fehlender Brücken

Doch wie kam es überhaupt dazu, dass Wladimir Putins (70) Truppen die derart strategisch wichtige Stadt, die sie in den ersten Kriegstagen besetzt haben, nun aufgeben müssen?

Nachdem die ukrainische Armee Angriffe auf wichtige Fluss-Übergänge – die Antonow-Brücke bei Cherson und die Brücke des Wasserkraftwerks Kachowka – gestartet hatten, gerieten die russischen Soldaten aufgrund von Versorgungsproblemen in eine Falle.

Die Russen versuchten daraufhin, Verstärkung, Munition und Ausrüstung mit Lastkähnen zu liefern. Der britische Geheimdienst hatte am 22. Oktober in seinen täglichen Veröffentlichungen zum Kriegsverlauf geschrieben, dass es das erste Mal «seit Jahrzehnten» sei, dass das russische Militär eine Lastkahnbrücke errichten müsse.

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«Das Gebiet am rechten Dnepr-Ufer war wegen der zerstörten Brücken schwer zu versorgen. Daher war es für die Truppen gefährlich, sich dort aufzuhalten. Aus militärischer Sicht war dieser Brückenkopf für die russische Armee wertlos», sagt der russische Militärexperte Jan Matwjejew gegenüber dem unabhängigen Nachrichtenportal Important Stories.

Am 3. November war dann ohnehin Schluss damit. Die Ukrainer hatten die improvisierte Überfahrt zerstört.

Probleme bei Abwehr der Angriffe

Zusätzlich hatten Kiews Streitkräfte Munitionsdepots und die feindlichen Stellungen beschossen. Am 24. Oktober wurde ein Stützpunkt von Tschetschenen-Kämpfern in der Region Cherson angegriffen. Dabei kamen 23 «Kadyrowiten» – in Anlehnung Ramsan Kadyrow (46) – ums Leben. Der Tschetschenien-Machthaber bestätigte das in einem Telegram-Post drei Tage später.

Auch das habe den Russen viel Kraft gekostet, erklärt der Analyst der russischen Recherchegruppe «Conflict Intelligence Team», Kirill Michajlow. «Zur Abwehr der ukrainischen Angriffe wurden erhebliche Mengen an Ausrüstung, Personal und Munition eingesetzt. All dies machte die Situation ziemlich schlimm und potenziell kritisch.»

Trotzdem blieben die Truppen noch mehrere Wochen dort. Strategieexperte Marcel Berni (34) von der Militärakademie an der ETH Zürich sagte Ende Oktober zu Blick, dass es Kreml wohl um Prestige gehe. Es sei «ein klassisches Dilemma zwischen militärischer und politischer Logik».

Rückzug mit Menschenleben begründet

Nun hat die militärische Logik offenbar die Oberhand gewonnen. Den russischen Soldaten blieb am Schluss wohl nichts anderes übrig, als ihre Stellung in der Stadt Cherson aufzugeben. Bereits am 18. Oktober sprach Surowikin von einer «schwierigen Situation», die «harte Entscheidungen» erfordern könnte.

Am 3. November sagte der stellvertretende, pro-russische Gouverneur der Region, Kirill Stremousow: «Unsere Streitkräfte werden sich vermutlich auf die linke Seite des Flusses zurückziehen.» Der 45-Jährige kam am Mittwoch bei einem Autounfall in der Region Cherson ums Leben – kurz bevor Schoigu den Abzug befohlen hatte.

Kampf am linken Ufer?

Die Stadt Cherson, die sich am rechten Flussufer befindet, soll also bald nicht mehr unter russischer Kontrolle sein. Werden die Russen aber die Stellung auf der linken Seite halten können? Jan Matwjejew ist der Ansicht, dass es für die russische Armee «etwas einfacher» sein werde. «Die Linie wird entlang des Dnepr verlaufen, seine Überquerung im Kampf ist äusserst riskant, die Ukrainer werden solche Versuche natürlich noch nicht unternehmen. Es wird einfach zu viele Verluste geben», sagt der Experte.

Ähnlich sieht es der ukrainische Militärexperte Olexij Melnik. «Ich kann mir nicht vorstellen, welcher General das tun würde», sagt er zu Important Stories. Stattdessen würde die ukrainische Armee weiterhin die Versorgungsketten, Lager und Stützpunkte der Russen zu zerstören versuchen. «Sodass Surowikin am Ende wieder eine ‹harte Entscheidung› treffen muss.»

«Grosse Niederlage für Putin»

Matwejejew glaubt, dass Putin versuchen werde, «die Front überall einzufrieren», um dann Verhandlungen zu führen und einen Waffenstillstand zu erreichen. «Ich denke, Kiew wird sich nicht darauf einlassen, und die Befreiung der übrigen Gebiete wird nicht lange auf sich warten lassen», fügt er hinzu.

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Politisch gesehen sei der Rückzug vom rechten Ufer «eine grosse Niederlage sowohl für die Armee als auch für Putin selbst. Sie werden versuchen, dies damit zu rechtfertigen, dass sie sich um die Menschen kümmern, aber das wird nicht überzeugend sein. Denn jeder weiss, dass Putin auf Menschen scheisst.» (man)

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