«Nicht mehr länger schweigen!»
Calmy-Rey und Dreifuss gehen wegen Israel auf Bundesrat los

Ehemalige Bundesrätinnen, prominente Kulturschaffende und Vertreter der Zivilgesellschaft: Sie alle fordern in einem offenen Brief eine aktivere Rolle der Schweiz im Gaza-Konflikt. Diese zögerte bis anhin, sich klar zu positionieren.
Publiziert: 28.05.2025 um 00:19 Uhr
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Aktualisiert: 28.05.2025 um 06:43 Uhr
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Aussenminister Ignazio Cassis und seine Amtskollegen bewegen sich nur zögerlich, wenn es um den Gazakrieg geht.
Foto: Keystone

Darum gehts

  • Schweizer Organisationen fordern Bundesrat zum Handeln im Nahost-Konflikt auf
  • Alt Bundesrätinnen und Kulturschaffende unterstützen den Appell an die Regierung
  • 10-Punkte-Plan für aktives Engagement der Schweiz im Gaza-Konflikt vorgeschlagen
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Joschka SchaffnerRedaktor Politik

Bundesrat Ignazio Cassis (64, FDP) und sein Aussendepartement (EDA) schlängeln sich durch den Nahost-Konflikt. Zwar warnte der Tessiner Bundesrat Ende letzter Woche noch mit deutlichen Worten vor einer Hungersnot im Gazastreifen. Einen Appell für mehr Hilfsgüter, dem sich bereits 22 westliche Staaten angeschlossen haben, will die Schweiz jedoch nicht unterstützen. Es gebe zu viele offene Fragen rund um die US-getriebene Aktion, heisst es aus dem EDA.

Auch der Gesamtbundesrat zögert lieber, wenn es um den Krieg geht. 15 Schweizer Organisationen wollen dies nun ändern: In einem Brief appellieren sie an die humanitäre Verantwortung der Eidgenossenschaft. Im Gepäck haben sie politische und kulturelle Schwergewichte: Unter anderem die alt SP-Bundesrätinnen Micheline Calmy-Rey (79) und Ruth Dreifuss (85), Kulturschaffende wie etwa Moderatorin Gülsha Adilji (39) oder Satiriker Renato Kaiser (39) sowie rund 100 weitere Mitunterzeichnende unterstützen den Aufruf.

Schweiz soll Rolle als Depositarstaat wahrnehmen

Die Schweiz ist Depositarstaat der Genfer Konventionen – und müsste dadurch die Durchsetzung deren Normen weltweit fördern. Das gelte auch in Gaza, erinnern die Initiantinnen und Initianten die Landesregierung. «Wenn in Gaza Völkerrecht und grundlegende Menschlichkeit systematisch verletzt werden, darf der Bundesrat nicht schweigen – sonst macht er sich mitverantwortlich», wird etwa die ehemalige Aussenministerin Calmy-Rey zitiert.

Der breit abgestützte Appell hält für die Landesregierung gleich einen 10-Punkte-Plan bereit: Unter anderem soll die Schweiz sich aktiv für einen sofortigen Waffenstillstand und den Schutz der Zivilbevölkerung in Gaza und dem Westjordanland einsetzen, humanitäre Hilfe gewährleisten und die finanzielle Unterstützung für das Uno-Hilfswerk UNRWA wiederherstellen.

Auch einen Einsatz für die bedingungslose Freilassung aller zivilen Geiseln und unrechtmässig inhaftierten palästinensischen Gefangenen fordert der Brief.

Auch jüdische Stimmen unterstützen den Appell

Weiter soll der Bundesrat eine offizielle Stellungnahme zur Möglichkeit eines Völkermords in Gaza tätigen und völkerrechtswidrige Aussagen israelischer Regierungsmitglieder verurteilen. Ebenfalls müsse die Schweiz den Export von Kriegsmaterial und Überwachungsgütern nach Israel sofort unterbinden. Und sie soll ihre Nahostpolitik, die eine Zwei-Staaten-Lösung vorsieht, «hinsichtlich ihrer menschenrechtlichen und völkerrechtlichen Kohärenz» überprüfen.

Federführend dabei: die beiden Menschenrechtsorganisationen Swiss Humanity Initiative und Amnesty International, die Vereinigung Jüdische Stimme für Demokratie und Gerechtigkeit in Israel/Palästina (JVJP) sowie das Palästina-Netzwerk Palestine Solidarity Switzerland.

Eine Seite im Konflikt einzunehmen, scheinen sie dabei vermeiden zu wollen. Ihre Forderungen würden «unabhängig von der Täterseite» gelten, heisst es im Schreiben.

Das Anliegen sei zudem in der Zivilbevölkerung breit abgestützt, machen die Initiantinnen und Initianten klar. Unter den Unterzeichnenden finden sich etwa der Rabbiner Reuven Bar Ephraïm (65) von der Jüdischen Liberalen Gemeinde Zürich, Epidemiologe Marcel Tanner (72) und Musikerin Anna Rossinelli (38). 

«Was die israelische Regierung in Gaza tut, ist untragbar – auch die Schweiz darf dazu nicht länger schweigen», wird Rabbiner Bar Ephraïm zitiert. Er und seine zahlreichen Mitunterzeichnenden überreichen den Brief dem Bundesrat «mit besorgten Grüssen».

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