Auf einen Blick
Schiessen, Schlamm und Schlafentzug, das verbinden viele mit dem Militär. Aber eben auch Disziplin, Leistung und Kameradschaft. Die Ausbildung in Grün galt früher als Kickstart für eine erfolgreiche Karriere in der Wirtschaft. Eine Laufbahn als Offizier öffnete insbesondere auf dem Schweizer Finanzplatz Türen.
Doch spätestens seit dem Zerfall der Sowjetunion Anfang der 1990er-Jahre hat sich die Schweiz von militärischen Lebensinhalten entfernt. Das Interesse an einer militärischen Karriere ist geschwunden. Hinter verschlossenen Türen ist gar zu vernehmen, dass Firmen ungern Militärs einstellen, da diese Jahr für Jahr Wiederholungskurse besuchen müssen und deshalb am Arbeitsplatz fehlen.
Das Problem verschärft sich zusätzlich, je internationaler die Führungsgremien werden. Entscheidungsträger sind nicht mehr in der Schweiz verwurzelt und haben deshalb mit der Milizarmee wenig bis keine Berührungspunkte.
Wirtschaft und Militär
Prioritäten ändern sich
Dass die militärische Karriere teilweise an Schwung verloren hat, formulierte jüngst ein sehr bekannter Hauptmann an einem Anlass an der Universität Zürich: Peter Spuhler (65). «Die Armee ist im Moment ein bisschen in einem schockierenden Zustand», sagte er. Auf die Frage, ob er heute noch eine Militärlaufbahn empfehlen würde, antwortete Spuhler, dass er es als Zwanzigjähriger toll fand, Verantwortung zu übernehmen. Er habe gelernt, sich durchzusetzen und unter harter physischer und psychischer Belastung Entscheidungen zu treffen. Das präge ihn bis heute.
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Genau dieses Wissen möchte das Militär wieder fördern. Damit sich Wirtschaft und Militär wieder annähern, reagierte die Armee im Jahr 2020 mit der Ernennung von Thomas Süssli (58) als neuem Chef der Armee (CdA). Der Wirtschaftsinformatiker absolvierte eine internationale Karriere in der Finanzbranche, unter anderem bei der Credit Suisse und Vontobel. Mit dem neuen Chef sollte jemand die Armee führen, der über ein vertieftes Verständnis für die Bedürfnisse der Wirtschaft verfügt.
«Der CdA legt ein Schwergewicht seines Wirkens auf das Verhältnis zwischen der Schweizer Armee und der Wirtschaft», fasst Oberst im Generalstab Niklaus Jäger zusammen. Der Kommandant der Führungs- und Kommunikationsausbildung (KFK) der Armee kennt die Bedürfnisse beider Seiten und fungiert als Bindeglied. Eine seiner Hauptaufgaben besteht darin, mit zivilen Führungskräften eine militärische Krisenausbildung durchzuführen. So findet ein Wissenstransfer aus dem Militär in die Führungsstufe statt. Zu den Teilnehmenden gehören Schweizer Firmen wie Baloise, Nestlé oder Repower.
Solche und zahlreiche weitere Massnahmen hat die Armee in den letzten Jahren ergriffen, um das Verhältnis zur Wirtschaft wieder zu stärken und insbesondere auch junge Nachwuchskräfte für eine militärische Führungsausbildung zu begeistern. Doch die Vorurteile gegenüber dem Militär bleiben hartnäckig: «Wir kämpfen mit einer Wahrnehmungsschere von zwanzig bis dreissig Jahren. Die Annahmen, die man heute an uns heranträgt, trafen vielleicht früher zu. Aber auch wir haben uns weiterentwickelt», so Jäger.
Ein Netzwerk für Führungskräfte
Dass sich das Führungsverständnis auch in der Armee geändert hat, bestätigen aktuelle Managerinnen und Manager, die ihrerseits über eine militärische Kaderausbildung verfügen. Einer davon ist Thomas Gasser. Er ist einerseits Chief Operations Officer (COO) von Brack Alltron, anderseits Oberst in der Schweizer Armee. «Im Militär muss man Menschen motivieren und bewegen können, denn im Grundsatz gibt es wenig Eigennutz in der Absolvierung der Dienstpflicht», so Gasser. «Die militärische Führung von heute basiert auf Motivation und Sinnvermittlung.»
Nebst dem Verständnis der Führung hebt Gasser auch den Aspekt des Netzwerks hervor. «Es gibt in der Armee so etwas wie eine Unité de Doctrine. Es ist ein Faktor, wie ihn beispielsweise auch McKinsey oder Google kennen», so Gasser. Er schätzt das gemeinsame Wissen und Verständnis aus der militärischen Führungsausbildung. Das militärische Netzwerk ist für ihn eine Austauschplattform, die ihn inspiriert und ein solides Fundament für das wirtschaftliche Netzwerk gab.
Ähnlich äussert sich Simon Michel (47), CEO von Ypsomed und Major in der Armee. Er pflege sein militärisches Netzwerk zwar nicht systematisch, profitiere jedoch von den Kontakten bei fachspezifischen Themen oder wenn es darum gehe, Türen zu öffnen.
In die gleiche Kerbe schlägt auch Esther Niffenegger, Leiterin der Region Mitte bei der Schweizerischen Post und Oberst in der Armee. Sie betont, dass sie seit Jahren enge Kontakte zu vielen ihrer Kameraden pflegt und genau wisse, auf wen sie bei Fragen oder Unterstützungsbedarf zurückgreifen könne. Die Zeit als Führungskraft im Militär habe sie stark geprägt. Sie haben gelernt, Menschen zu einem gemeinsamen Ziel zu führen, auch wenn diese es vielleicht nicht unbedingt gerne tun. «Man ist verpflichtet, eine Vorbildfunktion zu leben. Ich muss verkörpern, was ich predige. Nur so bin ich glaubwürdig», so Niffenegger.
Verhältnis zur Wirtschaft hat sich verbessert
Rolf Dörig (67), Verwaltungsratspräsident von Swiss Life und Oberst im Generalstab, sagt, die Zeit im Militär habe ihn gelehrt, sich einzuordnen, mit verschiedensten Menschen und Charakteren zusammenzuarbeiten und ein Ziel zu erreichen. «Das hilft auch in einer globalen Wirtschaft.»
Eine Botschaft, die es in jedem Führungsalltag braucht und die die Armee wieder vermehrt in die Wirtschaft hinaustragen möchte. Einen ersten Erfolg scheint sie bereits zu verbuchen: «Das Verhältnis zwischen Wirtschaft und Armee hat sich in den letzten Jahren verbessert», sagt Swissmem-Präsident und Offizier Martin Hirzel (54). Er wünscht sich aber, dass sich dieses Verhältnis weiter entkrampft und der Beitrag der Armee zur Sicherheit der Schweiz wieder besser wertgeschätzt wird.
In die Karten des Militärs spielt die geopolitische Lage. Die veränderte Sicherheitslage hat zweifellos dazu beigetragen, dass die Fähigkeiten der Armee wieder stärker in den Fokus der Schweizer Bevölkerung gerückt sind. Dennoch bedeutet diese gesteigerte Aufmerksamkeit nicht automatisch, dass sich auch die Zusammenarbeit zwischen Armee und Wirtschaft intensiviert. Rolf Dörig plädiert deshalb dafür, dass sich beide Seiten bemühen: die Unternehmen, indem sie die Militärdienst leistenden Arbeitnehmenden fördern und Offizierskarrieren unterstützen. Und die Topkader der Armee, indem sie sich in die Netzwerke der Privatwirtschaft einbringen und so den Austausch begünstigen.