Auf einen Blick
Es war ein Schock, als im syrischen Bürgerkrieg gleich kistenweise Handgranaten der Ruag entdeckt wurden. Die tödlichen Wurfgeschosse aus der Schweiz fanden über verschlungene Pfade – vermutlich über die Vereinigten Arabischen Emirate, Jordanien und die Türkei – ihre illegale Bestimmung an der Front in Aleppo.
Das war 2012. Seither müssen sich Empfänger von Schweizer Kriegsmaterial verpflichten, die Waffen nicht weiterzugeben. Zusätzlich finden periodisch Kontrollen statt, bei denen die Kriegsgüter physisch vorgelegt werden müssen.
In Ghana, dem Libanon und Indien verschwunden
Rund 60 davon wurden bislang durchgeführt. Als «ungenügend» qualifizierte Inspektionen wurden bislang nur zwei öffentlich bekannt. 2016 hatte Ghana Schweizer Sturmgewehre und Granatwerfer unerlaubterweise weitergegeben. 2019 konnten die Schweizer Behörden in den Libanon exportierte Sturmgewehre und Maschinenpistolen nicht verifizieren.
Nun gesellt sich Indien zur unrühmlichen Liste. Das geht aus einem Kontrollbericht hervor, den der Beobachter gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz erhalten hat. Daraus wird ersichtlich, dass chaotische Zustände geherrscht haben müssen, als die Schweizer Kontrolleure im November 2023 nach Indien reisten.
Das ist ein Beitrag aus dem «Beobachter». Das Magazin berichtet ohne Scheuklappen – und hilft Ihnen, Zeit, Geld und Nerven zu sparen.
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Die Waffen stammen aus dem Berner Oberland
Eigentlich hätten sie dort Hunderte von Maschinenpistolen überprüfen sollen, die vor rund zehn Jahren exportiert worden waren. Doch vor Ort wurde der Delegation ein Teil der Waffen lediglich virtuell und über vorher aufgenommene Videos präsentiert. Ein «substanzieller Teil» war schlicht gar nicht vorhanden – auch eine Kontrolle via Videostream war nicht möglich, angeblich, weil die Internetverbindung an den Waffenstandorten ungenügend sei. Das berichtete kürzlich Radio SRF, dem der Kontrollbericht ebenfalls vorliegt.
Die Schweizer Kontrolleure stellen sich im Bericht darum die Frage, «ob die nicht verifizierten Feuerwaffen weitergegeben worden sein könnten». Es gebe dafür zwar «keine konkreten Hinweise», doch es lasse sich auch nicht ausschliessen. Mehr ist aus dem Bericht nicht zu erfahren. Viele Passagen wurden grossflächig geschwärzt.
Der Waffenhändler hat eine Rechnung zu begleichen
Recherchen des Beobachters zeigen nun ein vollständigeres Bild: Bei den Maschinenpistolen handelt es sich um das Modell MP9 des Thuner Waffenherstellers und -händlers B&T. Die leichte, versteckt tragbare Waffe ist bei Sondereinsatzkommandos weltweit gefragt. So wird sie vom russischen Inlandgeheimdienst wie auch von den Personenschützern des französischen Präsidenten benutzt.
Die für gewöhnlich verschwiegene Firma mit Sitz im Berner Oberland bestätigt auf Anfrage entsprechende Geschäfte – und gewährte wider Erwarten tieferen Einblick in den besagten Deal mit Indien. Der Patron Karl Brügger hat nämlich noch eine Rechnung zu begleichen.
Besuch in Thun. Kurze Hose, Hawaiihemd, fester Händedruck. Er sei der «Käru». Der B&T-Chef wirkt wie ein Mann, der Millionenverträge per Handschlag abschliesst. Ein hemdsärmeliger Oberländer, der sein Herz auf der Zunge trägt.
Man habe ihm abgeraten, mit Journalisten zu sprechen, sagt er gleich zu Beginn. Die hätten alle dieselbe schlechte Meinung von seiner Branche. Er habe jedoch höhere Wertvorstellungen, als sich die Leute vorstellen könnten. Und was viele nicht gern hören würden: «Böse Menschen mit Waffen können im Normalfall nur durch gute Menschen mit Waffen gestoppt werden.»
Schweizer Waffenhändler liefert «nur noch an die Guten»
B&T beliefert tatsächlich viele staatliche Akteure, Polizeien und Militärs. Seit 2020 liefere die Firma auch «nur noch an die Guten», wie Brügger sagt, also in die EU- und EFTA-Staaten, die USA, nach Kanada, Singapur, Japan und Südkorea.
In der Vergangenheit gab es dennoch immer wieder Kontroversen um sein Unternehmen. Die seien aber verzerrt dargestellt worden, sagt Brügger.
Bei den Gelbwesten-Protesten in Frankreich etwa wurden mehrere Demonstranten durch den von B&T hergestellten Tränengas-Petardenwerfer schwer verletzt. Nach Bekanntwerden gab es Farbanschläge beim Thuner Sitz von B&T und Morddrohungen gegen Brügger. Dabei seien nicht sie schuld an den Verletzungen gewesen, sagt Brügger. Die französische Polizei habe für den Werfer nicht vorgesehene Munition benutzt.
Waffenhändler fühlt sich betrogen
Warum er nun doch mit einem Journalisten rede? Brügger haut auf den Tisch. «Das indische Militär schuldet unserer Firma bis heute viel Geld.» So was habe er in über 30 Jahren noch nie erlebt. Er fühlt sich betrogen.
2012 habe seine Firma eine Ausschreibung für die Aufrüstung indischer Elitesoldaten und Personenschützer gewonnen. Indien investierte auf seinem Weg zur Weltmacht damals wie heute kräftig in den Ausbau seiner Streitkräfte. Es ging um Maschinenpistolen im Wert von rund vier Millionen Franken.
Mittelsmann war offenbar der indische Millionär Chetan Seth. Ein illustrer Geschäftsmann mit gezwirbeltem Schnurrbart, der sein Vermögen eigenen Angaben zufolge mit dem Import kubanischer Zigarren verdient hat. Er soll Beziehungen bis in die höchsten Regierungskreise Indiens haben und selbst Premierminister Narendra Modi persönlich kennen.
Chetan Seth soll dafür gesorgt haben, so Brügger, dass der Waffendeal seinen Weg durch die indische Bürokratie fand – gegen eine fürstliche Kommission, versteht sich.
«Finger weg von Indien»
Doch Brügger sagt, das indische Verteidigungsministerium habe ihm die Bankgarantie für die Waffen ein Jahr zu spät eröffnet, dadurch habe sich die Auslieferung verzögert. Als die Maschinenpistolen dann endlich in Indien waren, zog die indische Seite dafür plötzlich 400’000 Franken von ihm ein.
Obwohl der Fehler für die Verzögerung «nachweislich durch die indische Seite verursacht wurde», sagt Brügger. «Für mich grenzt das an Diebstahl.»
Bis heute ist das Geld weg. Selbst ein Schreiben des damaligen Schweizer Botschafters an den indischen Verteidigungsminister nützte nichts. Es liegt dem Beobachter vor. Darin fordert dieser den Minister zur «dringlichen Intervention» auf. Brügger sage es darum allen, die es hören wollten: «Finger weg von Geschäften mit Indien.»
«Unvorstellbar chaotisches Land»
Dass seine Maschinenpistolen jedoch in falsche Hände gelangt sind, glaubt Brügger nicht. Indien sei in der Region sicherheitspolitisch isoliert. An einer Weitergabe gebe es darum kein Interesse. Dass die Kontrolle der Schweizer Behörden nicht erfolgreich gewesen ist, liege wohl schlicht an der Logistik. «Die Maschinenpistolen sind auf rund 400 Standorte in ganz Indien verteilt und dort als Personenschutzwaffen für die höchsten indischen Militärs im Einsatz», sagt Brügger. Das mache eine Kontrolle fast unmöglich.
Dazu komme, meint Brügger: Das Land sei unvorstellbar chaotisch. «Unser damaliger lokaler Vertreter sollte unsere Waffen vorführen. Doch die Militärs haben an dem Tag ihren eigenen Schiessstand nicht mehr gefunden.»
Ein heikler Zeitpunkt
Welche diplomatischen Konsequenzen der Fall hat, ist noch unklar. Das ungenügende Resultat der Kontrolle werde bei künftigen Exportgesuchen «umfassend berücksichtigt», schreibt das zuständige Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco). Was das genau heisst, wollte das Amt nicht näher präzisieren. Es werde grundsätzlich der Einzelfall beurteilt.
Politisch kommt der Bericht zu einem heiklen Zeitpunkt. Das Parlament soll bis Ende Jahr das Freihandelsabkommen mit Indien ratifizieren, das kürzlich unterzeichnet wurde. Der Branchenverband Swissmem, der die Interessen der Industrie vertritt, ist darum um Beschwichtigung bemüht. Immerhin handelt es sich um ein Land mit 1,4 Milliarden Menschen.
«Keine Hinweise auf Unzuverlässigkeit»
Indien sei zwar kein einfacher Markt, schreibt die Medienstelle auf Anfrage. Es gebe aber keine Hinweise, dass indische Geschäftspartner generell unzuverlässig seien. «Im Gegenteil planen diverse Unternehmen, ihr Engagement im indischen Markt auszuweiten.» Das sei ein Beleg für das Vertrauen der Firmen in Indien und ihre indischen Geschäftspartner.
Die indische Botschaft in der Schweiz, das indische Verteidigungsministerium sowie der Zigarrenhändler Chetan Seth reagierten trotz mehrfacher Nachfrage nicht auf Anfragen des Beobachters.