Blick: Frau Thalmann-Gut, innert zehn Jahren sind netto 3082 Schweizerinnen und Schweizer aus dem Kanton Zug weggezogen. Was sagen Sie zu dieser Entwicklung?
Silvia Thalmann-Gut: Wir machen keine Erhebung nach Schweizerinnen und Schweizern oder Ausländerinnen und Ausländern, sondern beobachten die Entwicklung der Gesamtbevölkerung. Diese ist stets gewachsen, weil Zug ein sehr beliebter Ort zum Leben und Arbeiten ist.
Der jährliche Abwanderungssaldo von Personen mit Schweizer Pass lag zuletzt im Minimum bei 500 Personen. Das sind Menschen aus dem Mittelstand – oft fest in Zug verwurzelt – für die das Wohnen in ihrer Heimat unbezahlbar geworden ist. Vertreiben Sie mit der Tiefsteuerstrategie die eigene Bevölkerung?
Nebst zu knapp verfügbarem und bezahlbarem Wohnraum gibt es viele weitere Gründe für einen Wegzug. Zug hat nicht nur tiefe Steuern, sondern ist auch sonst ein sehr attraktiver Kanton. Die Firmen, die sich hier angesiedelt haben, bieten unserer Bevölkerung attraktive Arbeitsplätze. Niemand muss nach Zürich pendeln, um einen spannenden Job zu finden. Das wollen wir erhalten. Aber wir wollen auch ein attraktiver Ort sein zum Wohnen. Gerade für Familien bietet der Kanton viel …
… wenn man sich das leisten kann. Gemäss einer Erhebung des Immobilienportals Newhome liegt die durchschnittliche Monatsmiete im Kanton bei 2819 Franken – schweizweit sind es 1779 Franken.
Dieses Problem haben wir erkannt. Wir haben deshalb schon vor Jahren ein Wohnraumförderungsgesetz eingeführt, mit dem wir versuchen, Bauland der Spekulation zu entziehen. In den vergangenen Jahren hat sich die Situation zugespitzt. Aus diesem Grund hat der Regierungsrat nun eine umfassende Strategie entwickelt, mit der die angespannte Wohnsituation entschärft werden soll.
Was genau planen Sie?
Baubewilligungsprozesse und Bauvorschriften sollen vereinfacht werden. Auch die Vorgaben für Hochhäuser wollen wir lockern, um den Bau von mehr Wohnraum zu ermöglichen. Des Weiteren will der Regierungsrat das bestehende Wohnraumförderungsgesetz stärken, damit gemeinnützige Bauträgerschaften einfacher zu Darlehen kommen. Zudem sollen die Unterstützungsbeiträge für bedürftige Haushalte optimiert werden.
Gleichzeitig will der Regierungsrat die Steuern weiter senken. Dadurch werden noch mehr Firmen und Gutverdienende aus aller Welt nach Zug gelockt – und der Druck auf die Miet- und Immobilienpreise steigt weiter.
Zug nimmt aktuell deutlich mehr Geld ein, als wir für die Verwaltung des Kantons brauchen. Das entspricht nicht unserem Staatsverständnis. Deshalb sind die Steuersenkungen angebracht. Wir wollen Zug nicht künstlich unattraktiv machen.
Die Fachstelle Punkto, die sich in Zug um Familien und sozial Benachteiligte kümmert, schrieb in ihrem Jahresbericht: «Die Verdrängung weniger privilegierter Menschen in benachbarte Kantone wird zu einer zunehmend besorgniserregenden Realität.» Hat jemand, der im Supermarkt 4000 Franken verdient, im Kanton Zug noch Platz?
Ja, wir wollen, dass auch Leute mit geringen Einkommen in unserem Kanton eine Wohnung finden. Es gibt Wohnungen, die aus dem Markt genommen wurden. Dort muss man sich melden – aber es braucht einen langen Atem. Unter Umständen muss man zudem bereit sein, in die Peripherie zu ziehen, oder gar in einen anderen Kanton. Der Wirtschaftsraum Zug geht über die Kantonsgrenzen hinaus. Auch ich habe in meinem Bekanntenkreis viele Menschen, die aus dem Kanton Zug weggezogen sind.