Zu krumm für Grossverteiler – Zürcher Bauer empört über «absurde Vorgaben»
13 Tonnen Bio-Rüebli droht Vernichtung – oder gibts ein Happy End?

Von 18 Tonnen Rüebli, die der Demeter-Betrieb Gut Rheinau verkaufen wollte, erhielt er 13 Tonnen zurück – wegen Mängeln. Stecken dahinter absurde Schönheitsnormen, oder würde die krummen Karotten niemand kaufen? Blick beleuchtet das System hinter dem Biogemüse.
Publiziert: 12:42 Uhr
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Aktualisiert: 17:28 Uhr
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Diese Rüebli entsprechen nicht der Norm des Verbands Schweizer Gemüseproduzenten. 13 Tonnen musste das Gut Rheinau zurücknehmen.
Foto: zVg

Auf einen Blick

  • Biohof muss 13 Tonnen Rüebli zurücknehmen wegen strenger Qualitätsnormen
  • 30 Prozent der zurückgegebenen Rüebli wären laut Landwirt leicht brauchbar
  • Vermarkter verteidigt die Normen: Verbrauchergesundheit und Qualitätssicherung
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Gabriel KnupferRedaktor Wirtschaft

Böse Überraschung für den Demeter-Betrieb Gut Rheinau im Kanton Zürich: Der Hof produzierte 18 Tonnen Rüebli für den Detailhandel – 13 Tonnen bekam er aber wieder zurück, weil sie mangelhaft sind.

Dazu muss man wissen: Um zu bestimmen, was in den Verkauf kommt, gibt es die schweizerischen Qualitätsbestimmungen für Gemüse des Verbands Schweizer Gemüseproduzenten. Auf einer Liste sind die Anforderungen genau beschrieben.

Unerwünscht sind bei Rüebli beispielsweise krumme, verfärbte oder gebrochene Exemplare. Auch Karotten mit einem Gewicht von weniger als 40 Gramm oder zu vielen grünen oder blau-roten Köpfen sind untauglich. Gewisse Ansprüche lassen Interpretationsspielraum übrig. So müssen die Karotten «gesund» sein.

Retournierte Rüebli sind nicht lagerbar – jetzt gibts ein Happy End

Für Moritz Ehrismann (40) vom Gut Rheinau sind die Vorschriften teilweise absurd. «30 Prozent der zurückgegebenen Rüebli wären leicht brauchbar», sagt er. Dennoch wurden sie abgelehnt.

Weil die Rüebli bereits gewaschen wurden, sind sie nicht mehr lagerbar. Mithilfe der Genossenschaft Grassrooted suchte der Hof nun tagelang Abnehmer für das Gemüse. Damit will man zumindest den Verlust eindämmen und verhindern, dass die Lebensmittel zu Tierfutter verarbeitet werden müssen. 

Im Fall von Gut Rheinau scheiterten grosse Rüeblimengen an den harten Anforderungen. Doch trotzdem zeichnet sich nun ein Happy End ab. Während ein Teil der Karotten verfüttert werde, gelinge es der Genossenschaft Grassrooted wahrscheinlich, einen Grossteil des mangelhaften Gemüses zu verkaufen, sagt Ehrismann am Freitagnachmittag gegenüber Blick.

Normen orientieren sich am Kaufverhalten

Aus Sicht von Ehrismann führen die harten Anforderungen trotzdem häufig zu Lebensmittelvergeudung – nicht immer gibt es ein Happy End. Warum gibt es also solche Vorschriften? Blick hakt bei der Bioproduzentenorganisation Terraviva nach. Die Firma aus Kerzers FR hat die übrigen 4,5 Tonnen Rüebli des Guts Rheinau verpackt und weiterverkauft.

Die handelsüblichen Normen seien «unverzichtbar», schreibt die Firma. Denn sie dienen in erster Linie der Lebensmittelsicherheit, der Verbrauchergesundheit und der Qualitätssicherung. «Sie basieren zudem auf dem Kaufverhalten der Endkonsumenten, das massgeblich die Nachfrage nach bestimmten Produkten beeinflusst.»

Zudem hält Terraviva fest, man habe bis zur Anfrage von Blick keine Kenntnis von einer Warenrückweisung über 13 Tonnen Rüebli gehabt: «Zwischen der Terraviva AG und Gut Rheinau existiert keine direkte Geschäftsbeziehung.»

11’535 Kilo fielen bei Aufbereitung raus

Das Rüebli-Beispiel zeigt beispielhaft, wie verzweigt das System mit den Schweizer Nahrungsmitteln ist: Bis Gemüse in den Regalen von Migros und Coop ankommt, geht es durch viele Hände. So wurden die Gut-Rheinau-Karotten von einem lokalen Produzenten bestellt. Dieser plante, sie nach der Aufbereitung durch die Firma Aschmann an die Terraviva weiterzuverkaufen.

Aschmann schreibt auf Anfrage, dass sie die Rüebli des Guts Rheinau wusch und sortierte. Dabei habe sich gezeigt: «Die Karotten sind auf steinigem Boden gewachsen und waren folglich unförmig.» Und weiter: «Wir haben Gut Rheinau über den hohen Anteil für uns nicht vermarktungsfähiger Ware informiert, und sie haben die 11’535 Kilogramm Karotten wieder abgeholt.» 11,5 Tonnen statt 13 Tonnen? Wie es zu dieser Differenz kommt, ist nicht klar.

Die Qualitätsnormen seien tatsächlich sehr hoch, so Aschmann. Doch darauf habe man keinen Einfluss. «Aschmann sortiert so wenig wie möglich aus, und Terraviva packt so viel wie möglich ein, ohne Rückweisungen zu provozieren», teilt die Firma mit. So hohe Ausfälle wie beim Gut Rheinau seien selten, kämen aber vor.

Überproduktion und Lebensmittelvergeudung

Für Ehrismann ist die Rückgabe aber Ausdruck eines grundsätzlichen Problems. «Das ganze System ist nicht gut: Die Konsumenten wollen nur die schönste Ware, und deshalb bieten die Grossverteiler nur perfekte Gemüse an.» Der Druck der Grossverteiler werde über die Zwischenhändler an die Bauern weitergegeben.

Die Folge sind laut Ehrismann geplante Überproduktion und damit Lebensmittelvergeudung. Ausserdem würden die Anbaukosten der Bauernhöfe nicht gedeckt, wenn die Händler grosse Teile der Ernte wegen Schönheitsfehlern nicht abnehmen.

Gerade Biorüebli fallen öfter aus dem Rahmen, merkt Ehrismann an. «Wenn der Boden gesund bleiben soll, muss man auch Steine im Boden lassen. Aber damit werden die Rüebli automatisch öfter klein oder krumm.»

Ausnahmen bei Hagelschäden

Ausserdem seien die Normen flexibel. In guten Jahren mit vielen Rüebli auf dem Markt würden sie strenger, sagt Ehrismann. Tatsächlich gibt es in den Qualitätsbestimmungen neben Mindestanforderungen wie «frei von Fäulnis» oder «von frischem Aussehen» auch «besondere Bestimmungen» wie Form und Farbe.

Bei einer Mangellage drücken die Abnehmer hingegen auch mal ein Auge zu. In Ausnahmefällen könnten auch Waren ausserhalb der Normen geliefert werden, so zum Beispiel bei Hagelschäden, bestätigt Terraviva. 

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