Im Januar klettert die Teuerung in den USA auf schwindelerregende 7,5 Prozent – und liegt damit so hoch wie seit vierzig Jahren nicht mehr. Weltweit klingeln die Alarmglocken, denken viele mit Schaudern zurück an die Zeit der Öl- und Wirtschaftskrise Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts.
Doch gibt es einen grossen Unterschied: Im Februar 1982, als die Inflation ebenfalls bei 7,5 Prozent lag, ging die Teuerung schon wieder stark zurück, hatte sich gegenüber dem Höchststand bereits wieder halbiert. Denn seit 1979 war mit Paul Volcker (1927 - 2019) ein neuer Chef bei der US-Notenbank FED am Drücker. Und endlich einer, der der Teuerung den Kampf angesagt hatte.
Gefährliche Lohn-Preis-Spirale
Das war bitter nötig, da die USA schon sehr lange unter den ständig steigenden Preisen gelitten hatten, wie Wirtschaftshistoriker Tobias Straumann (56) erklärt: «Der wichtigste Grund war die lange Boomphase seit dem Zweiten Weltkrieg, die in den 1960er Jahren zu einem ausgetrockneten Arbeitsmarkt führte.» Darauf habe eine Lohn-Preis-Spirale eingesetzt: «Höhere Löhne führten zu höheren Preise, was wiederum zu höheren Löhnen führte. Die beiden Ölpreisschocks von 1973 und 1979 erhöhten die Preise zusätzlich, aber die Inflationserwartungen war schon vor 1973 aus dem Ruder gelaufen», so Straumann weiter.
Das mündete in die sehr ungemütliche Lage der sogenannten Stagflation: Die Wirtschaft stagnierte, die Preise explodierten und die US-Notenbank erstarrte wie das Kaninchen vor der Schlange. Bis Volcker kam und drastische Massnahmen ergriff: «Der FED-Chef hob die kurzfristigen US-Zinsen auf fast 20 Prozent hoch – dies bei einer Inflation von etwa 15 Prozent», erinnert sich Straumann.
Volcker greift durch
Was dann passierte, ging als «Volcker-Schock» in die Wirtschaftsgeschichte ein: «Die Folgen waren kurzfristig äusserst negativ. Es kam zu einer heftigen globalen Rezession, und in Lateinamerika und Osteuropa brach wegen der hohen Zinsen eine dramatische Schuldenkrise aus», so Straumann. Denn all diese Länder hatten sich in Dollars verschuldet, konnten die horrende Zinslast nicht mehr bedienen.
Immerhin: Der «Der Volcker-Schock» war ein heilsamer, er erstickte die Inflation und die Wirtschaft erholte sich schnell wieder, ging gestärkt aus der Krise hervor.
Heute hat der globale Schuldenberg neue Rekordhöhen erklommen, trotzdem gibt Straumann Entwarnung, auch wenn steigende Zinsen immer eine Gefahr für die Wirtschaft darstellen können: «Wenn es zu einer starken Zinserhöhung kommt, dann wird es eine Schuldenkrise geben. Aber die Situation ist heute noch nicht so alarmierend, dass wir dieselbe Rosskur wie damals durchziehen müssen.»
Schulden verhindern Zinsexzess
Gerade in Europa hat die Europäische Zentralbank gar keine Möglichkeit, die Zinsen stark anzuheben, obwohl auch in der Eurozone die Teuerung bei über 5 Prozent liegt. Zu hoch ist die Verschuldung einiger gewichtiger Euroländer wie zum Beispiel Italien oder Spanien: «Die EZB ist dazu verurteilt, die Zinsen möglichst tief zu halten. Das heisst aber nicht, dass sie immer auf Null bleiben müssen. Eine Erhöhung um eins bis zwei Prozent liegt drin», glaubt der Wirtschaftshistoriker.
In den USA rechnen die meisten Experten mit einigen, aber eben auch kleinen Zinsschritten noch in diesem Jahr. Und in der Schweiz? Dürften die Zinsen auch nicht so schnell steigen. Unter anderem wegen des starken Frankens ist die Teuerung viel tiefer als in den Nachbarstaaten. Und solange in Europa die Zinsen nicht in die Höhe schiessen, bleiben der Nationalbank die Hände mehr oder weniger gebunden.
Nicht mit Inflation leben
Einzig eine globale Rezession würde auch die Schweizer Wirtschaft in Mitleidenschaft ziehen. Doch danach nicht aus, der «Volcker-Schock» dürfte sich nicht wiederholen. Denn einerseits haben die Währungshüter seit damals einiges dazu gelernt, andererseits fehlt zur grossen Teuerungskrise eine wichtige Zutat: «Wie in den 1970er Jahren führt heute die Knappheit von Rohstoffen zu hohen Preisen. Aber anders als damals ist noch keine Lohn-Preis-Spirale in Gang gekommen.»
Dem pflichten auch andere Experten bei. Sie rechnen damit, dass der Höhepunkt der aktuellen Preisexplosion unmittelbar bevorsteht. Eines allerdings darf laut Straumann nicht passieren: Wir dürfen uns nicht daran gewöhnen, mit der Inflation zu leben. «Das wäre gar nicht gut, denn eine hohe Inflation ist äusserst schädlich. Sie führt zu sinkenden Reallöhnen und politischen Unruhen», warnt der Wirtschaftshistoriker eindringlich.