An der Wall Street geht die Angst eines Finanz-Crashs um. US-Börsenguru Jeremy Grantham (83), der bereits vor der grossen Finanzkrise 2008 richtig lag, sagte vergangene Woche: «Die Aktien befinden sich derzeit in einer Superblase. Das wird kein gutes Ende nehmen.» Er schob hinterher: «Viel Glück! Wir werden es alle brauchen.»
Tatsächlich ist der erste Monat des neuen Jahres einer zum Vergessen – auch in der Schweiz. Der Leitindex SMI liegt über 6 Prozent im Minus und verzeichnete am Montag den schwärzesten Tag seit dem Corona-Crash im März 2020. Und in Amerika befinden sich die grossen Indizes mit einem Minus von über 10 Prozent bereits offiziell in der Korrektur.
Zwar sind die Kursverluste der vergangenen Tage vor allem auf den schwelenden Ukraine-Konflikt zurückzuführen, doch die langfristig grösste Sorge der Anleger bleiben die Zinsen. Und um diese geht es am heutigen Mittwoch, wenn sich die US-Notenbank Fed zum Meeting trifft. Bereits im vergangenen Jahr machte Fed-Chef Jerome Powell (68) klar, dass die lockere Geldpolitik 2022 ein Ende finden wird.
Für Biden steht viel auf dem Spiel
Nicht nur die Anleger dürften den Entscheid der Notenbank mit Spannung erwarten. Auch politisch geht es um viel. Der amtierende Präsident Joe Biden (79) hat trotz einer niedrigen Arbeitslosenzahl und einer erholten Wirtschaft einen schweren Stand: Der Demokrat ist einer der unbeliebtesten Präsidenten in der Geschichte des Landes. Wegen der Inflation drohen steigende Preise – ein politisches Drama, von dem sich Biden und die Demokraten vor den Halbzeitwahlen im November kaum erholen dürften.
Steigende Zinsen könnten zwar einerseits – zumindest auf dem Papier – die Inflation eindämmen. Andererseits könnten zu rasche Zinserhöhungen auch das Preisschild von weiter sinkenden Aktienkursen tragen. Joe Biden weiss, wie viel in den kommenden Monaten auf dem Spiel steht. Als ein Reporter ihn am Montag die Frage zuwarf, ob die zunehmende Inflation im Land bei der Kongresswahl im Herbst eine politische Bürde sei, murmelte Biden – hörbar für alle, da sein Mikrofon noch angeschaltet war – und klar ironisch: Nein, Inflation sei ein Vorteil, «mehr Inflation». Mit Kopfschütteln und leicht verzogenem Gesicht schob Biden eine derbe Beleidigung nach: «What a stupid son of a bitch.»
Biden pfeift öffentlich auf Aktienkurse
Anders als Donald Trump (75) gibt Biden vor, die Aktienkurse an der Wall Street nicht zu verfolgen. «Im Gegensatz zu seinem Vorgänger betrachtet Präsident Biden die Börse nicht als ein Mittel, um die Wirtschaft zu beurteilen», sagte ein Angestellter des Weissen Hauses am Dienstag zu CNN.
Während Biden zumindest öffentlich auf den derzeitigen Kurszerfall pfeift, dürfte auch er kein Interesse an weiteren Turbulenzen an den Märkten haben. Zwar sind sich Ökonomen einig, dass die Aktienindexe nicht den Stand der Wirtschaft widerspiegeln. Aber die Vergangenheit hat gezeigt, dass die Ereignisse an der Wall Street – mit Verspätung – oft auch die Main Street erreichen.
Schwächt die Fed ihre Rhetorik ab?
Wenn Jerome Powell nach dem Fed-Meeting heute Abend (20 Uhr MESZ) den Entscheid bekannt gibt, dürften also nicht nur die Anleger an der Wall Street genau hinschauen. Derzeit rechnet eine Grosszahl der Experten mit einer ersten Zinserhöhung im März. Darauf ist der Aktienmarkt in Amerika wie auch in der Schweiz vorbereitet. Viel wichtiger seien deshalb die Worte, die Powell heute wählt, sagt Luca Paolini, Chefstratege bei Pictet Asset Management, zum «Wall Street Journal».
«Es geht mehr um den Ton der Pressekonferenz. Die Menschen könnten die Erwartung haben, dass die Fed angesichts der Marktturbulenzen und der geopolitischen Spannungen ihre Rhetorik abschwächt», so Paolini. Diese Hoffnung dürften die Anleger wie auch der Präsident im Weissen Haus teilen.