Wieso unsere Start-ups lieber im Ausland an die Börse gehen
Geburt in der Schweiz, Party in den USA

In New York gingen 2021 deutlich mehr Schweizer Firmen an die Börse als in Zürich. Das ist kein Zufall, sagen Unternehmensberater.
Publiziert: 19.09.2021 um 01:08 Uhr
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Aktualisiert: 19.09.2021 um 11:01 Uhr
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Sportradar aus St. Gallen: Basketball-Legende Michael Jordan und Gründer Carsten Koerl feierten den Börsengang in New York mit der Faust.
Foto: Zvg
Thomas Schlittler

Es war eine aussergewöhnliche Woche für die Schweizer Wirtschaft. Gleich zwei Erfolg versprechende Unternehmen wagten den Gang an die Börse: Am Dienstag hatte Sportradar, Sportdaten-Anbieter aus St. Gallen, sein Initial Public Offering (IPO). Seit Mittwoch sind die Aktien der Zürcher Sportartikelfirma On für jedermann erhältlich.

Dank prominenter Markenbotschafter sorgten die Börsengänge nicht nur hierzulande für Schlagzeilen, sondern auf der ganzen Welt: On hat bekanntlich Tennis-Ikone Roger Federer (40) an Bord. Bei Sportradar heisst einer der Investoren Michael Jordan (58). Die Basketball-Legende läutete die «Opening Bell».

Kleiner Makel aus helvetischer Sicht: Die Börsenpartys stiegen nicht in Zürich, sondern in New York (USA). Die Aktien von On und Sportradar werden in Übersee gehandelt. Die Schweizer Börse SIX hat das Nachsehen.

Nordamerika stellt den grössten Markt dar

Eine On-Sprecherin erklärt den Entscheid so: «Nordamerika stellt mit 49 Prozent den grössten Markt für On dar. Darum war es für On als globale Sportmarke eine logische Konsequenz, in New York an die Börse zu gehen.»

Auch Daten-Anbieter Sportradar begründet den Schritt mit Grösse und Bedeutung des US-Markts. Carsten Koerl (56), Gründer und CEO des Unternehmens, äusserte sich diese Woche im Blick: «Die Schweiz ist für mich Heimat. Aber für ein Technologie- und Softwareunternehmen ist die Nasdaq das höchste der Gefühle.»

Foto: Blick Grafik

Aus Sicht der Unternehmen ist das nachvollziehbar – ein Eishockey-Profi, der in der NHL spielen kann, bleibt auch nicht in der Nationalliga A. Dennoch stellt sich die Frage: Ist die Schweizer Börse zu wenig attraktiv für IPOs?

Tatsache ist: In den vergangenen eineinhalb Jahren gab es hierzulande lediglich vier Börsengänge. Im gleichen Zeitraum gingen jedoch viel mehr Schweizer Unternehmen an die Börse – nicht in der Schweiz, aber im Ausland. Gemäss Recherchen von SonntagsBlick wagten seit Januar 2020 mindestens ein Dutzend Schweizer Start-ups ein IPO im Ausland.

Die Mehrzahl davon stammt aus dem boomenden Biotech-Sektor: ADC Therapeutics und Sophia Genetics aus Lausanne VD, NLS Pharmaceutics aus Stans NW, Pharvaris aus Zug, Gain Therapeutics aus Lugano TI, VectivBio und Monte Rosa Therapeutics aus Basel.

Hinzu kommen die Textiltech-Firma HeiQ aus Zürich, die Software-Bude Trifork aus SchindellegiSZ sowie das Raumfahrt-Unternehmen Astrocast aus Lausanne. Die meisten liessen sich an der US-Technologiebörse Nasdaq kotieren. Einige aber auch in Europa.

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Tobias Meyer, Leiter IPO Services bei Ernst & Young (EY) in der Schweiz, erklärt: «Für Biotech-Unternehmen kann ein Börsengang in den USA sinnvoll sein, weil es dort viele spezialisierte Investoren und Analysten gibt, welche die Equity Story des Unternehmens gut einschätzen können.» Das schlage sich normalerweise positiv in der Bewertung nieder.

Erich Herzog, Leiter Wettbewerb und Regulatorisches bei Economiesuisse, misst den zahlreichen Auslandskotierungen nicht zu viel Bedeutung zu. «Ein Unternehmen, das gleichzeitig Sitz in der Schweiz hat, behält dadurch seinen engen Bezug zum Land.»

Trotzdem sei es bedauerlich, wenn ein Schweizer Unternehmen im Ausland an die Börse gehe. «Der Vorgang zeigt, dass wir unserem Standort Sorge tragen und darauf achten müssen, in sämtlichen Wirtschaftsbereichen konkurrenzfähig zu bleiben – in regulatorischen Fragen und auch bei der Kapitalbeschaffung.»

Entwicklung ist teilweise selbst verschuldet

Genau in diesen Bereichen sieht Leti McManus Handlungsbedarf. Sie berät Schweizer Unternehmen bei IPO-Vorbereitungen und ist der Meinung, der Trend zu Kotierungen im Ausland komme nicht von ungefähr. Insbesondere bei KMU sei die Entwicklung, zumindest teilweise, selbst verschuldet: «In anderen europäischen Ländern gibt es seit mehr als 25 Jahren vereinfachte Regelungen für Börsengänge von KMU. Die Schweiz dagegen hat erst vor kurzem erste Schritte in diese Richtung aufgegleist.»

Ein weiteres Problem seien die Mentalität und die Erwartungen der Kapitalgeber. McManus: «Schweizer Privatanleger und Institutionelle sollten offener werden für die Finanzierung von kleineren und weniger etablierten Unternehmen.» Sie sollten sich daran gewöhnen, dass diese kurzfristig nicht so rentabel sind und ihr Aktienkurs stärker schwankt als der grosser börsenkotierter Unternehmen.

Die Schweizer Börse SIX will von einem grundsätzlichen Attraktivitätsproblem derweil nichts wissen. «Die Schweiz ist ein sehr attraktiver Standort, um an die Börse zu gehen», betont Mediensprecher Jürg Schneider.

Gemäss Marktkapitalisierung sei die SIX die drittgrösste Börsengruppe Europas und somit mehr als konkurrenzfähig. Schneider hält es für einen «Zufall, dass diese Woche gleich zwei Schweizer Unternehmen in den USA ihr IPO hatten.» Von einem Trend könne «nicht die Rede sein».

Indirekt hat die SIX allerdings eingestanden, dass Handlungsbedarf bestehe: Im Oktober eröffnet sie das Segment «Sparks». Dieses richtet sich an KMU und verspricht niedrigere Anforderungen und Auflagen an einen Börsengang. Im kommenden Frühling hofft man auf die ersten IPOs – von Schweizer Unternehmen in der Schweiz.

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