Seit eineinhalb Jahren befindet sich die Welt aufgrund der Corona-Pandemie im Ausnahmezustand. Da sind Schuldzuweisungen heikel und werden von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) dementsprechend vorsichtig abgehandelt.
Umso mehr erstaunt die Aussage von WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus (56). Er hält sich sonst mit kontroversen Aussagen über mächtige Mitgliedstaaten im Zaum. Nicht so an der jüngsten Pressekonferenz des Uno-Ablegers. Was lange als Verschwörungstheorie abgekanzelt worden war, scheint plötzlich wieder eine valable Möglichkeit.
«Ich war einst selbst ein Laborant»
Die Theorie, das Virus sei aus einem chinesischen Regierungslabor entwichen, stufte die Organisation noch im März als «extrem unwahrscheinlich ein.» Nun die Kehrtwende: Diese Aussage sei «ein verfrühter Vorstoss gewesen», sagte Ghebreyesus an einer Pressekonferenz in Genf.
Im Gegensatz zu zahlreichen Vertretern der Labor-Theorie, will Ghebreyesus der chinesischen Regierung aber nicht die Absicht unterstellen, eine globale Pandemie ausgelöst zu haben. Er sagt: «Ich selbst war einst ein Laborant und Immunologe. Labor-Unfälle passieren.»
«Chinas Zusammenarbeit ist entscheidend»
Stand heute gehen die meisten Wissenschaftler davon aus, dass das Corona-Virus von Fledermäusen auf den Menschen übertragen wurde. Doch Joe Bidens Anordnung an den US-Geheimdienst, eine Untersuchung zur Wahrscheinlichkeit eines Corona-Ausbruchs in einem Labor in Wuhan zu eröffnen, liess alte Gerüchte wieder aufflammen. Ghebreyesus' jüngsten Aussagen dürften dazu weiter beitragen.
Der WHO-Chef stellt darum klar: «Wir brauchen direkte Informationen, wie die Lage im Labor vor und am Anfang der Pandemie war.» Nur so liesse sich es sich als Ursache der Pandemie ausschliessen. Chinas Zusammenarbeit sei dabei entscheidend. Denn diese war in der Vergangenheit immer kritisiert worden, unabhängigen Untersuchungsgruppen Zugang zu kritischen Informationen verwehrt zu haben. (ste)