Fallzahlen steigen
Hat die Schweiz zu schnell gelockert?

Die Fallzahlen verdoppeln sich alle zehn Tage, Delta hat mit 70 Prozent die Herrschaft unter den Coronaviren übernommen. Andere Länder verschärfen die Massnahmen wieder. Die Schweiz schaut zu. Das ruft Kritiker auf den Plan.
Publiziert: 13.07.2021 um 13:36 Uhr
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Aktualisiert: 14.07.2021 um 12:06 Uhr
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Trotz fortschreitender Impfkampagne nehmen die Corona-Fallzahlen in der Schweiz wieder zu.
Foto: Keystone
Sermîn Faki und Levin Stamm

822 neue Corona-Infektionen registrierte das Bundesamt für Gesundheit (BAG) übers Wochenende. Vor einer Woche hatte das BAG noch 449 neue Fälle gemeldet. Die Zunahme beträgt damit über 80 Prozent. Der R-Wert, der angibt, wieviele Personen ein Infizierter ansteckt, liegt bei 1,45 – und damit so hoch wie in der grossen Welle im Oktober vergangenen Jahres.

Neue Daten legen nun einen bösen Verdacht nahe: Die Delta-Variante soll laut der jüngsten BAG-Schätzung bereits Ende Juni für knapp 71 Prozent aller Ansteckungen verantwortlich gewesen sein. Damit hat sich der Anteil der hochansteckenden Corona-Mutante hierzulande innert einer Woche verdoppelt.

Rutte entschuldigt sich beim Volk

Und die Schweiz ist mit dieser Entwicklung nicht allein. In fast allen europäischen Staaten lässt sich ein starker Anstieg der Zahlen beobachten. Hat Europa die Barrieren zu schnell gesenkt? Der niederländische Premierminister Mark Rutte (54) sieht das so. Er räumte am Montag ein, dass die Regierung die Beschränkungen gegen das Coronavirus zu früh aufgehoben habe, und entschuldigte sich für den Anstieg der Infektionen.

Am vergangenen Freitag hatte Rutte die Massnahmen für Bars, Restaurants und Nachtclubs wieder hochgefahren – nur zwei Wochen nach den Öffnungen. Doch in der letzten Woche haben sich die Infektionen verachtfacht.

«Was wir für möglich hielten, hat sich in der Praxis als nicht möglich erwiesen», sagte Rutte am Montag. «Wir hatten ein schlechtes Urteilsvermögen, was wir bedauern und wofür wir uns entschuldigen.»

Auch in der Schweiz führte das zu Reaktionen. So meldete sich die Epidemiologin Nicola Low von der Uni Bern auf Twitter zu Wort. «So sieht eine Entschuldigung aus, wenn man die Corona-Massnahmen zu früh gelockert hat», schrieb sie. «Andere sollten davon lernen.»

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Wirtschaftsvertreter bei Maskenfrage uneinig

Ganz anders klingt es bei Wirtschaftsvertretern. Swiss-Retail-Federation-Direktorin Dagmar Jenni (53) forderte erst kürzlich die Abschaffung der Maskenpflicht in Läden. Dies, wenn alle impfwilligen Personen vollständig geimpft sind und die Normalisierung beginnt. Laut der obersten Detailhändlerin wäre die Maskenpflicht dann schon aus Gründen der Verhältnismässigkeit nicht mehr zu rechtfertigen.

Vorsichtiger gibt sich Hotelleriesuisse-Präsident Andreas Züllig (62). «Selbst wenn die Anzahl der Neuinfektionen wieder ansteigt, sollten andere Indikatoren wie Hospitalisierungen oder Todesfälle berücksichtigt werden», sagt er. Da sei man auf einem guten Weg. «Wir müssen pragmatischer werden», meint Züllig.

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Von Jennis Vorschlag zur Abschaffung der Maskenpflicht hält er jedoch wenig. «Ich weiss, dass die Maskenpflicht vor allem im Sommer mühsam ist. Aber mit dem Aufkommen der Delta-Variante wäre es noch zu früh.» Letzten Sommer sei man mit Lockerungen vielleicht etwas voreilig gewesen – aus diesem Fehler müsse man nun lernen.

«Experten sollen entscheiden»

Über die Maske in Innenräumen will Casimir Platzer (59) kein abschliessendes Urteil fällen. Er spielt den Ball anderen zu. «Darüber sollen die Experten entscheiden», sagt der Gastrosuisse-Präsident im Gespräch mit Blick.

Ihn stört, dass bis heute die Anzahl der täglichen Neuinfektionen im Fokus steht. Stattdessen will sich der oberste Beizer auf die Sterblichkeit konzentrieren. Und die sei auch in europäischen Ländern mit hohen Fallzahlen trotz Delta noch immer tief.

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