Werk zu, Kreditprobleme und Notfallpläne
So schlimm ist der Kriegsausbruch für Schweizer Firmen

Der Ukraine-Konflikt hat für Schweizer Firmen immer mehr Nachteile. Ein Werk wird geschlossen, Finanzierungen stehen auf der Kippe. Die KMU-Organisation Switzerland Global Enterprise wird mit Hilferufen überflutet.
Publiziert: 25.02.2022 um 00:43 Uhr
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Aktualisiert: 25.02.2022 um 07:48 Uhr
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Der Schweizer Verpackungsglashersteller Vetropack hat sein ukrainisches Werk in Kiew aus Sicherheitsgründen vorübergehend geschlossen. Die rund 600 Mitarbeitenden am Standort würden vorübergehend bei vollem Gehalt freigestellt.
Martin Schmidt und Dorothea Vollenweider

Der Kriegsausbruch in der Ukraine hat auch Folgen für viele Schweizer Firmen, die in der Ukraine, Russland oder Weissrussland tätig sind. Der Verpackungsglashersteller Vetropack etwa stellt seine Produktion in der Ukraine vorübergehend ein. «In der gegenwärtigen Situation können wir den strukturierten und sicheren Betrieb einer Glasfabrik unweit der Hauptstadt Kiew aus Sicherheitsgründen nicht aufrechterhalten», wird Konzernchef Johann Reiter in einem Communiqué zitiert. Die rund 600 Mitarbeitenden am Standort würden vorübergehend bei vollem Gehalt freigestellt.

Auch der Pharmakonzern Roche wird in seiner Niederlassung in der ukrainischen Hauptstadt Kiew wohl bald seine Notfallpläne auspacken müssen. Ziel sei es, dass Patienten in der Ukraine und in Russland Zugang zu den Medikamenten und Diagnostika haben, so Roche gegenüber der Nachrichtenagentur AWP. Die Pläne würden entsprechend der Situation stetig aktualisiert.

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Projektfinanzierungen in Gefahr

Wichtiger als der Handel mit der Ukraine ist für die Schweiz jedoch jener mit Russland. Die verschärften Sanktionen gegen Russland treffen zahlreiche Schweizer Unternehmen. «Die Verunsicherung unter den betroffenen Unternehmen ist gross», sagt Michael Kühn (43) von Switzerland Global Enterprise. Die Organisation unterstützt und berät Schweizer KMU bei ihren Exporttätigkeiten.

Kühn ist unter anderem für das Russland-Geschäft verantwortlich und hat alle Hände voll zu tun: «Die Anfragen haben in den letzten Tagen stark zugenommen.» Am meisten Güter exportiert die Chemie- und Pharmabranche, gefolgt von der Maschinen- und Uhrenindustrie.

Besonders gross sei die Verunsicherung in der Maschinen- und Elektronikindustrie, sagt Kühn. «Es gibt Firmen, die kurz vor einem Vertragsabschluss stehen und sich nun Sorgen machen, dass das Geschäft wegen der erschwerten Finanzierung platzen könnte.» EU und USA haben es bei ihren neuesten Sanktionen stark auf den russischen Finanzsektor abgesehen. «Die Sanktionen könnten künftig auch eine Finanzierung über Schweizer Banken erschweren», sagt Kühn.

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«Situation verändert sich rasch»

ABB erwirtschaftete im letzten Jahr knapp zwei Prozent des Umsatzes in Russland. Der Schweizer Technologiekonzern könne zum aktuellen Zeitpunkt aber noch nicht abschätzen, welche Auswirkungen Sanktionen und mögliche Gegensanktionen auf die Geschäftstätigkeiten haben werden.

Unternehmen aus dem Konsumgüterbereich fürchteten sich in erster Linie vor einem Absturz des russischen Rubels, so Kühn: «Die Schweizer Produkte sind in Russland sowieso schon teuer. Verliert der Rubel an Wert, könnten sie irgendwann zu teuer werden.»

Der Schweizer Export von Waren und Dienstleistungen nach Russland beläuft sich auf gut sechs Milliarden Franken, macht also rund ein Prozent des Gesamtexports aus. Die Importe liegen bei etwa drei Milliarden. Andere Handelspartner sind für die Schweizer Wirtschaft zwar entscheidender, doch für das einzelne KMU sind die Einschränkungen massiv.

Stadler-Werk bald auch betroffen?

Kühn betont, dass viel Ungewissheit herrscht: «Die Situation verändert sich rasch. Wir können den Unternehmen aktuell fast nur raten, laufend die neuesten Bestimmungen zu überprüfen, die für die Schweiz gelten.»

Auch schärfere Sanktionen gegen den russischen Verbündeten Weissrussland stehen im Raum. Das würde auch den Schweizer Schienenfahrzeughersteller Stadler Rail hart treffen, der im weissrussischen Fanipol ein Werk betreibt. «Die gegenwärtige politische Situation in der Ukraine hat aktuell keine Auswirkungen auf die Betriebstätigkeit», heisst es beim Unternehmen auf Nachfrage. Mehr will der Konzern dazu nicht verlauten lassen.

Auch der Schweizer Finanzsektor dürfte die Sanktionen zu spüren bekommen. «Russland wickelt 80 Prozent seines Rohstoffhandels über die Schweiz ab», sagt Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff (61). Wird Russland vollständig vom internationalen Zahlungsverkehr ausgeschlossen, wird das auch die Schweiz zu spüren bekommen. «Besonders in den Kantonen Genf und Zug spielt der Rohstoffhandel eine grosse Rolle.»

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Unternehmen müssen um Investitionen fürchten

«Wenn die Sanktionen verschärft werden, wovon ich ausgehe, könnte es für die Schweizer Exportwirtschaft negative Rückkopplungen geben», meint Neff. Dies hänge aber auch von der Dauer des Konflikts und der Stärke der Invasion ab. So könnte die Nachfrage nach Schweizer Waren auch in Ländern zurückgehen, die stärker mit Russland verflochten sind.

Neff ist zudem überzeugt, dass die ausländischen Investitionen in Russland zusammenbrechen werden. Firmen hätten kaum noch Sicherheit darüber, was mit ihren Investitionen in Russland geschieht: «Im schlimmsten Fall könnten die Gelder gar durch Russland beschlagnahmt werden.»

Umgekehrt ist auch Russlands Wirtschaft abhängig vom Westen. Das zeigen Berechnungen des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW Kiel). Ein Verbot des Gashandels hätte für das Land wirtschaftlich die schlimmsten Folgen. Russlands Bruttoinlandprodukt (BIP) würde dabei um 2,9 Prozent einbrechen. Ein Handelsembargo für Öl hätte für Russland demnach einen Rückgang der Wirtschaftsleistung um 1,2 Prozent zur Folge.

Chefökonom Neff schliesst ein vollständiges Embargo keinesfalls aus: «Die Wahrscheinlichkeit nimmt stündlich zu. Kommt es irgendwann zu einem totalen Exportboykott, würde das auch in der Schweiz Spuren hinterlassen.»

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