Die Ausgangslage ist die: Wir haben weiterhin Unternehmen, die von der Konkurrenz und vom Kapitalmarkt gezwungen werden, mit immer weniger Arbeitsaufwand immer mehr zu produzieren. Doch heute können diese Unternehmen ihren Profit am besten dadurch optimieren, dass sie die Produktion dorthin auslagern, wo die Arbeit am billigsten ist, und die Produkte dort verkaufen, wo die Kaufkraft am höchsten ist.
Das heisst: Die Unternehmen verteilen ihren Mehrwert immer einseitiger. Produziert wird in Bangladesch, geprasst am Zuger See. Und wir haben einen Staat, dessen Wirtschaftspolitik nicht mehr primär darauf abzielt, mehr Wohlstand zu schaffen, sondern Arbeitslosigkeit zu vermeiden, bezahlte Arbeit zu schaffen, und so die Gesellschaft vor dem Zerfall zu retten. Zu diesem Zweck muss man angeblich ein guter Standort sein.
Weniger Freizeit, mehr BIP
Die kleine Schweiz schwimmt in dieser Schaumkrone obenauf. Wir sind bei den Prassern. Wir sind ein guter Standort, eine der Regionen, in denen die Wirtschaft noch brummt. Das spricht sich herum. Seit 30 Jahren ist unsere Bevölkerung um rund 2 Millionen oder 30 Prozent gewachsen. Doch auch bei uns schlägt sich der technische Fortschritt zunehmend in Stau, Stress, höheren Mieten und in Angst um den Arbeitsplatz um. Wir würden lieber in einer Welt leben, in der wir kein Fluchtort für alle andern sind.
Dass wir es seit etlichen Jahrzehnten immer weniger schaffen, die steigende Produktivität in Wohlstand und Freizeit für alle umzuwandeln, hängt mit unserem zu engen Begriff von Arbeit zusammen. Diese dient nicht nur der Produktion, sondern auch der sozialen Integration. Und produktive Tätigkeit wird nicht nur im Unternehmen, sondern auch in der Familie und der Nachbarschaft geleistet.
Wird nun die bezahlte Arbeit – wie es der Logik der Marktwirtschaft entspricht – wegrationalisiert, haben wir zwei Möglichkeiten. Die erste ist: Möglichst viel bezahlte Arbeit schaffen durch Flexibilisierung, Mobilisierung, tiefere Löhne, Exportüberschüsse, Sieg im Standortwettbewerb etc. Das haben wir jetzt 40 Jahre lang versucht.
Zeit für Familie und Nachbarn
Die zweite Möglichkeit: Wir verlagern die Arbeit wieder vermehrt zurück in die Familie und Nachbarschaft. Dort kann die gewonnene Freizeit nutzbar gemacht werden. Kinder hüten, Alte pflegen, musizieren, sich gegenseitig unterhalten, die Pizza selber backen, statt den mies bezahlten Kurier kommen zu lassen, usw.
Leider haben wir uns diese zweite Möglichkeit durch die erste immer mehr verbaut. Lange Arbeitswege, unregelmässige Arbeitszeiten und häufige Stellenwechsel schwächen die Integrations- und Produktionskraft der Familien und Nachbarschaften und machen uns wirtschaftlich und sozial noch mehr abhängig von der bezahlten Arbeit. Wir sind zu Job-Junkies geworden.
Es braucht einen Entzug
Die Entwöhnung wird nicht einfach sein. Sind wir nicht eben im Ranking der globalen Wettbewerbsfähigkeit auf den zweiten Platz abgerutscht? Und was ist mit der von der OECD propagierten Mindeststeuer? Ist das nicht ein fieser ein Angriff auf unseren Standort? Die Gefahr ist allgegenwärtig und die Sinne unserer wirtschaftlichen und politischen Elite sind seit Jahrzehnten auf diese Gefahren geschärft. Ein Gehirnscan würde zeigen, dass sie dort 99 Prozent der grauen Zellen beanspruchen.
Aber jetzt kommt die Zeit der Besinnung und der Nachdenklichkeit. Irgendwann muss der Groschen ja mal fallen.