Verhasst, aber gerecht
Gegen Ungleichheit bei Vermögen wäre die Erbschaftssteuer ein faires Mittel

Das fairste Mittel gegen die Ungleichheit bei Vermögen sind Erbschaftssteuern. Doch das Stimmvolk versenkte eine Initiative dazu. Allen voran die ärmeren Haushalte. Wieso eigentlich?
Publiziert: 19.08.2023 um 13:58 Uhr
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Aktualisiert: 15.01.2024 um 13:53 Uhr
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Villenliquidation am Zürichberg.
Foto: Keystone
Yves Demuth
Beobachter

Der Satz sorgte für rote Köpfe: «Der Reichtum hockt am falschen Ort, und denjenigen, die etwas bewegen wollen, fehlt das Geld.»

Gesagt hatte ihn Nicolas G. Hayek, der verstorbene Swatch-Gründer. Den Satz genutzt hatten die Sozialdemokraten. Im Abstimmungskampf von 2015 warben sie mit ihm für eine nationale Erbschaftssteuer. Die Botschaft: Reich sind in der Schweiz die Falschen. Die Erben.

Hayeks Sohn fand das gar nicht lustig. Er – selbst ein Erbe – wehrte sich dagegen, dass die Worte seines Vaters für Politpropaganda genutzt wurden. Denn die Volksinitiative «Millionen-Erbschaften besteuern für unsere AHV» war ganz und gar nicht in seinem Sinn.

Sie versetzte vor rund zehn Jahren noch einige andere in Panik. Vermögende überrannten damals die Notariate, um dem Nachwuchs eilig noch ein paar Häuser zu überschreiben, wie das Notariatsinspektorat berichtete. Allein in Zürich sollen mindestens zehn Milliarden Franken verschenkt worden sein, damit das Geld der drohenden Erbschaftssteuer entgehen möge.

Die Initiative scheiterte jedoch krachend. 71 Prozent sagten Nein. Genauso wie sämtliche Kantone. Und das, obwohl die Vorlage nur 2 Prozent aller Steuerpflichtigen überhaupt betroffen hätte. Denn nur Vermögen über zwei Millionen Franken wären unter die neue Erbschaftssteuer gefallen. Die Nachwahlbefragung zeigte sogar, dass ausgerechnet ärmere Haushalte noch häufiger Nein gestimmt hatten als der Durchschnitt.

Wie kann das sein? «Tod und Steuern sind grundsätzlich eine Kombination von zwei unangenehmen Tatbeständen», sagt der Lausanner Wirtschaftsprofessor Marius Brülhart. «Erbschaften werden zudem offensichtlich von vielen Menschen als sehr privater, ja intimer Vorgang betrachtet, aus dem sich der Staat herauszuhalten hat.» Insbesondere bei Erbgängen innerhalb der Familie. Zudem spiele sicherlich auch der Traum vom eigenen Reichtum eine Rolle bei der Ablehnung von Erbschaftssteuern.

Die Ungerechtigkeit der «Geburtslotterie» ausgleichen

Für die Zunft der Ökonominnen und Ökonomen ist die breite Ablehnung einer Erbschaftssteuer hartes Brot. Denn sie erachten sie als eine der fairsten Steuern überhaupt. 142 Schweizer Wirtschaftswissenschaftler wurden in einer Umfrage vor zwei Jahren gefragt: «Welche steuerpolitischen Instrumente sollten vorrangig genutzt werden, um eine zu hohe Ungleichheit zu reduzieren?» Die mit Abstand häufigste Antwort: Eine Erbschafts- oder Schenkungssteuer.

Laut Brülhart ist die Erbschaftssteuer in den Wirtschaftswissenschaften so hoch im Kurs, weil sie kaum leistungshemmend sei und die Ungerechtigkeit der «Geburtslotterie» beim Erben ein wenig ausgleichen könne.

Stattdessen ist das Gegenteil geschehen. Statt mehr Erbschaftssteuern gibt es weniger. Pro vererbten oder verschenkten Franken fallen heute 1,6 Rappen Steuern an. 1990 waren es mit 4,3 Rappen mehr als doppelt so viel, wie Brülhart berechnet hat.

In einem Jahr 88 Milliarden vererbt

Die Summe der jährlich vererbten Vermögen stieg zwar auf zuletzt 88 Milliarden Franken an. Trotzdem bleibt der Widerstand gegen Erbschaftssteuern bestehen. Das habe wohl einen psychologischen und kulturellen Ursprung, schreibt Brülhart in einem Aufsatz. «Dem letzten Willen eines Menschen wird kulturell ein hoher Wert beigemessen, was Abwehrreflexe gegen gesellschaftlich verordnete Einschränkungen dieses Willens weckt.» Das Erbe zu besteuern, werde von vielen als unzulässiger Eingriff ins Privateigentum betrachtet.

Die Juso wollen es dennoch nochmals wissen. Sie sammeln derzeit Unterschriften für eine Zukunftsinitiative, die Erbschaften ab 50 Millionen Franken zu 50 Prozent besteuern will. Mit dem Geld soll der Bund die Klimakrise bekämpfen.

Laut Brülhart wären davon weniger als 0,3 Prozent aller Nachlässe betroffen. Dennoch hätten die Initianten einen schweren Stand, unter anderem aufgrund der instinktiven Abneigung vieler Leute gegen Erbschaftssteuern.

Der französische Starökonom Thomas Piketty kehrt den Spiess um. Piketty forscht seit Jahren zum Thema soziale Ungleichheit und schlägt ein bedingungsloses Grunderbe vor. Alle 25-Jährigen sollen vom Staat 120’000 Franken erhalten. Kostenpunkt in der Schweiz laut Marius Brülhart: Rund 12 Milliarden Franken pro Jahr.

Brülhart selbst ist von dieser Idee nicht sehr angetan. «Es ist eine Verteilung nach Giesskannenprinzip, auch an viele, die es kaum nötig haben.» Zudem sei der Auszahlungszeitpunkt zu spät, um Chancengleichheit herbeizuführen.

Der Professor findet eine Erbschaftssteuer viel besser. Auch wenn diese vielleicht nie kommen wird. Er nimmt diesen Umstand gelassen: «Es liegt weder an den Ökonomen noch an sonstigen Expertinnen, der Mehrheit ihre Wertvorstellungen aufzuzwingen.»

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