Auf dem Bau fehlen bald Zehntausende Mitarbeitende, wie BLICK gestern berichtete. Hunderte Lehrstellen bleiben auch diesen Sommer unbesetzt und geburtenstarke Jahrgänge verabschieden sich in die Pension. Dass es der Baubranche trotz soliden Löhnen nicht gelingt, den benötigten Nachwuchs zu finden, verwundert Unia-Präsidentin Vania Alleva (50) nicht. Viele Bauarbeiter berichten über schlechtere Rahmenbedingungen.
«Die Bauarbeiter sind gezwungen, immer mehr zu leisten, und das in immer kürzerer Zeit und mit immer weniger Kollegen auf der Baustelle», erklärt Alleva dem BLICK. Die Überstunden hätten zugenommen und viele müssten nach einer stressigen Fünftagewoche auch noch am Samstag auf die Baustelle. Durchgearbeitet werde selbst bei gefährlichem Schlechtwetter, also etwa Hitze, Sturm oder im Winter bei Kälte und Eis.
Seit Corona nimmt der Druck weiter zu
Durch eine absurde Herumreiserei auf den Baustellen – Firmen aus Luzern, die in Zürich bauen, oder Zürcher Firmen in Basel – seien Bauangestellte viele lange Tage weg von ihren Familien, so Alleva. Und Reisezeit werde nicht zur Arbeitszeit gezählt. Die Zunahme von Termindruck, Stress und negativen Auswirkungen auf das Privatleben hätten letztes Jahr drei Viertel von 12'000 Bauarbeitern bestätigt, die Unia befragte. Das hat laut Alleva Folgen: «Aufgrund dieser Entwicklungen raten viele Väter, die diesen Job einmal geliebt haben, ihren Kindern davon ab, in ihre Fussstapfen zu treten.»
Nachdem Unia seit Beginn der Corona-Krise mehrmals intervenierte, weil Schutzmassnahmen auf Baustellen missachtet wurden, gab es zwar Verbesserungen. Doch nun stellt Alleva fest: «Bereits vorher bestehende Probleme wurden aufgrund Corona verschärft.» So habe sich der akute Termin- und Zeitdruck weiter verschlimmert. Eh schon unrealistische Bautermine würden trotz Corona-Verspätungen einfach durchgedrückt. Das setze die Gesundheit der Bauarbeiter aufs Spiel.
Schutzmassnahmen fallen Termindruck zum Opfer
Als weiterer erschwerender Faktor komme der Klimawandel hinzu. Heisse Tage, wie sie Alleva diese Woche erwartet, machten die Arbeit auf dem Bau noch anstrengender und gefährlicher. Dehydrierung, Sonnenstich oder Hitzeschlag können schwerwiegende Folgen haben und gar zum Tod führen. In Hitzeperioden erhöhe sich die Zahl der Unfälle um sieben Prozent.
Die Arbeitgeber seien verantwortlich dafür, dass bei Hitze die Sicherheitsmassnahmen eingehalten würden – und sie nicht wie teilweise bei den Corona-Schutzmassnahmen einfach dem Termindruck zum Opfer fielen. Alleva fordert: «Wenn die Arbeit wegen Hitze unterbrochen werden muss, sollen sich die Bauherren bei der Terminplanung kulant zeigen.»
Die Arbeit auf dem Bau werde nicht attraktiver für Junge, solange die dringlichsten Forderungen der Bauarbeiter nicht erfüllt seien: weniger Überstunden und Samstagsarbeit; die Reisezeit solle als Arbeitszeit zählen; und bei gefährlichem Schlechtwetter und Hitze brauche es klare Kriterien, wann die Arbeit eingestellt werden müsse.