Die Arbeitgeber müssen gerade einiges an Schelte einstecken: Sie seien unflexibel, würden Ü50-jährige Kandidaten nicht berücksichtigen und gäben Quereinsteigern keine Chance. So einige der Vorwürfe, die sich aus einer aktuellen Arbeitsmarktstudie ergeben. Auch der Fachkräftemangel habe daran bisher wenig geändert, kritisiert Studienautor Pascal Scheiwiller (50). «Das zeigt, dass die Not bei den Unternehmen gar nicht so gross ist, wie sie uns glauben machen.»
Die Arbeitgeber setzen nun zur Verteidigung an. «Die Unternehmen gehen bei der Rekrutierung heute viel mehr Konzessionen ein», beteuert Simon Wey (47), Chefökonom beim Schweizerischen Arbeitgeberverband. «Sie geben zum Beispiel Jugendlichen ohne Berufserfahrung oder Flüchtlingen eine Chance.»
Die Lücke bleibt
Selbst Menschen, die die Sprache noch nicht auf dem normalerweise geforderten Niveau sprechen, erhielten Jobs, so Wey. «Sehen die Unternehmen Potenzial, so investieren sie in die Ausbildung ihrer Angestellten, zum Beispiel mit Sprachkursen, auch wenn diese Angestellten im ersten Moment noch nicht produktiv sind.»
Wenn die Arbeitgeber toleranter werden, Abstriche beim Anforderungsprofil machen, wie kommt es dann, dass mehr als 400'000 Menschen in der Schweiz keinen Job oder gerne mehr arbeiten würden, aber nicht die passende Stelle finden? «Die Arbeitslosigkeit wird nie ganz verschwinden», sagt Wey. «Die Leute mit ihren Qualifikationen auf dem Markt passen selten eins zu eins zu den offenen Stellen.» Zu glauben, der Arbeitskräftemangel würde die Arbeitslosigkeit komplett eliminieren, wäre eine Illusion, so Wey.
Kommt hinzu, dass einige Firmen sich entscheiden, Stellen durch Automatisierung oder Digitalisierung wegzurationalisieren, wenn sie dafür keine passenden Kandidaten finden. Das kommt sie unter Umständen günstiger, als jemanden weiterzubilden, der nicht von Anhieb auf die Stelle passt.
Personalnot in der Küche – oder nicht?
Natürlich finde man Verweigerer: Unternehmen, die partout keine Ü50-Jährigen oder Quereinsteiger einstellen, die trotz Arbeitskräftemangel nicht bereit sind, von ihren Anforderungen abzurücken. «Aber sie sind die Ausnahme», betont Wey. «Grundsätzlich sind die Arbeitnehmer in der aktuellen Situation am längeren Hebel.»
Für Betroffene, die aktuell ohne Job dastehen, sind diese Beteuerung ein schwacher Trost. Etwa für Volker Joh (59), der als gelernter Koch ein Glücksgriff für die Gastro-Branche sein müsste. Warum die Restaurants offenbar trotz Wehklagen über den Personalnotstand nicht bereit sind, einem 59-Jährigen eine Chance zu geben, will der Branchenverband Gastrosuisse nicht beantworten. Man könne den Einzelfall nicht beurteilen, heisst es dort nur.