Auf einen Blick
Wenn die Schweiz eines ganz dringend braucht, dann ist es mehr Wohnraum. Vor allem in den Zentren – aber nicht nur. Die nationale Leerwohnungsziffer, die im September bekannt gegeben wird, fällt dieses Jahr voraussichtlich unter die magische Grenze von 1 Prozent. Das bedeutet: Der Wohnungsmangel hat sich aufs ganze Land ausgebreitet.
Um den Mangel an Wohnraum zu beheben, müssten jährlich 50'000 neue Wohnungen gebaut werden. Stattdessen werden laut Schätzungen des Schweizerischen Baumeisterverbands SBV dieses Jahr nur 40'000 erstellt. Im zweiten Quartal 2024 nahm die Bautätigkeit um 10 Prozent ab.
Es braucht dringend Wohnungen
Und 2025 sieht es laut den Baumeistern nicht besser aus. Zwar wurden im zweiten Quartal 2024 wieder mehr Baugesuche eingereicht. Gleichzeitig werden aber auch immer weniger bewilligt. Gemäss Zahlen von Raiffeisen wurden im ersten Quartal 2024 knapp ein Drittel aller Gesuche abgelehnt.
«Es braucht dringend eine Bauoffensive», sagt Raiffeisen-Immobilienexperte Fredy Hasenmaile (57). Auch der SBV appelliert: «Lasst uns endlich wieder mehr Wohnungen bauen!».
Doch wo kann in der Schweiz noch gebaut werden? Wo befindet sich ungenutztes Potenzial und warum wird es nicht genutzt? Diese Fragen sind aktueller denn je. Das Bundesamt für Raumentwicklung erhebt die Anteile von unbebautem Bauland in einer Bauzonenstatistik. Damit lässt sich die Baureserve jeder Gemeinde der Schweiz abrufen. Blick hat diese Zahlen analysiert und nach Antworten gesucht.
Zürich hat die grösste Bauzonenreserve
Die überraschende Erkenntnis: Die Stadt Zürich hat gemäss diesen Zahlen die grössten ungenutzten Bauzonenreserven des Landes. Laut dem Bund hat die Stadt noch 288 Hektaren unüberbautes Bauland. Zum Vergleich: Das sind mehr als 400 Fussballfelder. Und mehr als in jeder anderen Gemeinde der Schweiz. Dahinter folgt Winterthur mit 235 Hektaren. Auch die Städte Bern, Bellinzona, Genf, Lausanne, Lugano und Luzern sind in der Rangliste ganz weit oben.
Das überschüssige Bauland gehört sowohl privaten Eigentümern als auch der Stadt oder institutionellen Investoren. «Man kann aber davon ausgehen, dass private Grundbesitzer eher Land horten als institutionelle Investoren», sagt Hasenmaile. Denn letztere wollen ihre Rendite maximieren und nutzen das Bauland dadurch besser aus.
Baulücken füllen
Die Zahlen haben allerdings einen Haken: Die 288 Hektaren in Zürich beinhalten auch kleinere, unüberbaute Flächen innerhalb von Siedlungsgebieten – etwa Baulücken zwischen zwei Gebäude. Es sind diese Baulücken, die Zürich und die anderen Städte in dieser Rangliste nach oben katapultieren.
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Solche Baulücken können laut dem SBV nur genutzt werden, wenn die Ausnützungsziffer erhöht wird. Diese bestimmt in der Schweiz die maximal zulässige Überbauung eines Grundstücks. «Eine höhere Ausnützungsziffer wäre ein zentrales Element für eine erfolgreiche Verdichtung», sagt SBV-Sprecherin Jacqueline Theiler zu Blick.
Viele Bauprojekte werden blockiert
Ein weiteres Problem: Allein im Wohnungsbau sind rund 70 Prozent aller Neubauprojekte in der Stadt Zürich durch Einsprachen blockiert. Auch hier sieht der SBV dringenden Handlungsbedarf. Zwar müssen berechtigte Einsprachen möglich sein. «Doch seit einem fatalen Entscheid des Bundesgerichts im 2011 kann eine Person sogar Einsprache erheben, wenn sie selbst von einem Bauprojekt gar nicht betroffen ist», bemängelt der Bauverband. Solche Einsprechende würden vorgeben, das allgemeine Interesse zu schützen. Tatsächlich wird aber oft nur der eigene Ausblick auf den See oder die Berge schützen.
Auch dass Einsprachen aktuell gratis sind, sieht der SBV kritisch. Denn eine Einsprache kann ein Bauprojekt jahrelang verzögern. Erschwerend kommt hinzu, dass 75 Prozent der Fläche der Stadt Zürich im nationalen Inventar für Ortsbildschutz sind. Dieser strenge Ortsbildschutz blockiert Bauprojekte zusätzlich.
Viele Gemeinden haben Baureserven
Das Problem, dass Bauland nicht genutzt werden kann, kennt nicht nur Zürich. Rund 450 der über 2000 Gemeinden in der Schweiz haben mehr als 20 Prozent ihrer Bauzonen nicht bebaut. Der Grund: Die Eigentümer überbauen ihr eingezontes Bauland oft während Jahrzehnten nicht, sondern horten es. Solche Grundstücke werden oft von Generation zu Generation weitergegeben.
«Bauland war in den letzten Jahren eine gute Geldanlage», erklärt Hasenmaile. Es gab also keinen Grund, das Bauland zu überbauen. Doch die hohen Baulandreserven werden zunehmend zum Problem. Denn seit 2014 müssen Gemeinden ihre Bauzonen nach der Bevölkerungsentwicklung in den nächsten 15 Jahren richten. Wer zu viel Bauland eingezont hat, muss wieder auszonen.
Falsche Anreize
Dass es kaum Anreize gibt, eingezontes Bauland zu überbauen, verschärft das Problem. Man müsse die Fehlanreize korrigieren, welche verhindern, dass ungenutzte Flächen nicht an den Markt zurückgegeben werden, sagt Hasenmaile. «Es ist grotesk, dass wir grundsätzlich genügend Flächen hätten, um eine Wohnungsnot zu verhindern!»
Manche Kantone haben bereits Bauland-Mobilisierungsmassnahmen eingeführt. Wenn es das öffentliche Interesse rechtfertigt, können Gemeinden den Grundeigentümern beispielsweise Fristen zur Überbauung ihrer Parzelle setzen oder Lenkungsabgaben erheben, solange ein Grundstück nicht überbaut ist.
Trotzdem ist klar: Eine schnelle Lösung für die aktuelle Wohnungsnot gibt es nicht. «Wir haben zu lange zugeschaut, wie sich ein giftiger Cocktail zusammengebraut hat», sagt Hasenmaile. Um die strukturellen Hindernisse zu überwinden, muss ein Umdenken stattfinden. Sowohl in der Politik als auch in der Bevölkerung.