Die Pharmafirmen sind die wichtigsten Exporteure der Schweiz. Mehr als 50 Prozent aller Exporte aus der Schweiz stammen aus der Pharma. Dennoch herrscht hierzulande akute Medikamentenknappheit. Fiebersenkende Sirups für Kinder: ausverkauft. Anti-Epileptika: nicht lieferbar. Antibiotika: Mangelware.
Es erscheint paradox, dass ausgerechnet in der Pharmahochburg Schweiz die Medikamente knapp werden. Die Gründe für die Lieferengpässe sind mannigfaltig, liegen unter anderem in der Globalisierung und im Kostendruck begründet: Für viele Arzneimittel gibt es weltweit nur einen einzigen Hersteller, etwa in China oder Indien. Steht die Fabrik still, fehlt das Medikament auf der ganzen Welt. Sogar in der Pharmahochburg Schweiz.
Der Bund lagert nur wenige Medikamente
«Es wäre illusorisch zu glauben, dass wir sämtliche Medikamente selber produzieren können», sagt dazu Stefan Felder (62). Er ist Gesundheitsökonom an der Universität Basel und forscht unter anderem zu Medikamentenengpässen. In einer Studie hat Felder 4000 Arzneimittel über einen Zeitraum von fünf Jahren untersucht. Resultat: Bei 30 Prozent gab es vorübergehende Lieferprobleme, Patienten mussten auf Ersatzprodukte ausweichen. Bei 20 Prozent gab es nicht einmal mehr Ausweichmöglichkeiten.
Genauso illusorisch wie eine vermehrte Produktion in der Schweiz wären auch nationale Pflichtlager für alle betroffenen Medikamente. «Wo fängt man an und wo hört man auf?», fragt Felder rhetorisch. «Medikamente verfallen. Das würde unheimliche Kosten nach sich ziehen.»
Tatsächlich gibt es für ausgewählte Medikamente ein nationales Pflichtlager, ähnlich wie bei Benzin oder Zucker. Dazu gehören etwa Opiate und andere starke Schmerzmittel oder Breitbandmedikamente gegen Infektionskrankheiten. «Die Pflichtlager jetzt weiter auszubauen, wäre das Dümmste, was man nun tun könnte», warnt Enea Martinelli (57), Vizepräsident des Schweizerischen Apothekerverbands Pharmasuisse und Initiator der Onlineplattform drugshortage.ch, welche Arzneimittelengpässe auflistet.
Momentan zählt die Seite über 700 Versorgungsengpässe. Dass Martinelli dennoch keine neuen Pflichtlager anlegen will, hat einen einfachen Grund: «Damit würde man dem Markt die sowieso schon knappen Produkte noch stärker entziehen. Das verschärft die Problematik.»
Kompetenzgerangel zwischen Bund und Kantonen
Hierzulande kosten Medikamente mehr als im Ausland. Davon profitiert die Schweiz bei Versorgungslücken. Nach dem Motto: Wer am meisten bezahlt, wird zuerst beliefert. Dafür ist die Schweiz ein kleiner, fragmentierter Markt – und für die Pharmafirmen dadurch weniger attraktiv, was den Vorteil durch das höhere Preisniveau wieder zunichtemacht.
Die Schweiz hat nicht die Macht, die globalen Lieferengpässe bei Medikamenten zu lösen – Pharmahochburg hin oder her. Untätig bleiben sollte sie trotzdem nicht, so der Tenor unter den Experten. Gesundheitsökonom Felder etwa findet es lobenswert, dass Martinelli aus privater Initiative Medikamentenengpässe zählt und auflistet. Aber: «Eigentlich wäre das doch Aufgabe des Bundes!»
Nur: Der Bund ist heute nicht einmal zuständig. Die Kompetenz liegt bei den Kantonen. Wenn allerdings schon die Schweiz zu klein ist, um beim globalen Kampf um knappe Medikamente mitzureden – wie steht es dann erst um Schwyz oder Solothurn? Ärzte, Apotheker, die Pharmaindustrie und andere haben darum die sogenannte Arzneimittel-Initiative lanciert. Sie soll den Bund dazu verpflichten, für eine ausreichende Arzneimittelversorgung in der Schweiz zu sorgen.
Die Unterschriftensammlung beginnt im Januar. Wer heute in der Apotheke einen Fiebersirup oder ein Anti-Epileptikum braucht, dem bringt das allerdings fürs Erste wenig.