Ob Fiebersäfte oder Antibiotika für Kinder, Laus- oder Hustenmittel, Blutdrucksenker oder Magensäureblocker: Wer auf eine bestimmte Arznei angewiesen ist, guckt momentan in die Röhre. Seit Wochen beklagen Apotheker hierzulande eine grassierende Medikamenten-Knappheit.
Nun hat sich die Lage zugespitzt. Besonders bei Medikamenten für Kleinkinder. Dort ist der Bedarf an Arzneien derzeit besonders hoch. Grund dafür ist das Respiratorische Synzytial-Virus, kurz RSV.
«Insbesondere Säuglinge und Kleinkinder sind zum Teil das erste Mal damit konfrontiert und reagieren entsprechend heftig. Infektionen der Atemwege verbunden mit Fieber und Husten sind die Regel», sagt Enea Martinelli (55), Chefapotheker der Berner FMI-Spitalgruppe und Vizepräsident des Verbands Pharmasuisse zu SonntagsBlick.
Zur Behandlung des Virus brauchen Kinder unter anderem fiebersenkende oder entzündungshemmende Präparate wie Paracetamol oder Ibuprofen. Doch Ibuprofen-Sirupe sind derzeit Mangelware.
Fast in allen Apotheken ausverkauft
Angestellte der grössten Schweizer Apotheken-Kette Amavita berichten von frustrierten Eltern. «Wir kratzen die letzten Packungen zusammen, wo wir nur können», sagt eine Apothekerin. Sie betont aber auch: Panik sei fehl am Platz. Besorgten Eltern wird deshalb von Hamsterkäufen abgeraten.
Prekär ist die Lage auch bei anderen wichtigen Arzneien. Insbesondere beim Kinder-Antibiotikum Co-Amoxicillin der Hersteller Sandoz und Mepha. Das Präparat wird für bestimmte Infektionen bei Kindern ab zwei Monaten eingesetzt – und ist derzeit bei fast allen Apotheken in der Schweiz ausverkauft.
Zur Not könnten Apotheken die Arznei selbst herstellen, doch das ist kompliziert. Nicolas Lutz, Inhaber der Berner Kirchenfeld-Apotheke: «Auch wenn wir die Wirkstoffe haben, brauchen wir sehr viel Zeit und sehr viel Personal, um das entsprechende Antibiotika herzustellen. Da stossen wir an unsere Grenzen.»
Während das fertige Präparat in der kleinsten Dosis knapp zehn Franken kostet und von den Krankenkassen bezahlt wird, kommt das Antibiotikum in Selbstherstellung auf mehr als 30 Franken – und wird nicht von den Kassen übernommen. Die Eltern müssen die Arznei selber berappen. Grund ist ein Tarifstreit zwischen Kassen und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG).
Schuld sind Lockdowns in China
Als Ursache der Engpässe verweisen Apotheker auf Unregelmässigkeiten in der globalen Produktion. Rund 68 Prozent der Produktionsstätten von Wirkstoffen, die für Europa bestimmt sind, liegen im kostengünstigeren Asien.
Kommt es dort zum Stocken der Fertigung, zu Verunreinigungen oder gar zum Produktionsstillstand, kann das auch die Schweiz treffen. Der Apothekerverband Pharmasuisse ortet das Hauptproblem in China: «Der Nachschub verspätet sich, weil in China, wo ein Grossteil der Wirkstoffe produziert wird, noch immer Lockdowns über Pharmafirmen verhängt werden», sagt Sprecherin Martina Tschan.
Chefapotheker Martinelli listet total 782 verschreibungspflichtige Arznei- mittel, die nicht lieferbar sind. Und Besserung ist keine in Sicht.