Sulzer in Winterthur ZH kooperiert mit H&M, um gebrauchte Textilien wieder zu verwerten
Alte Kleider werden zum neusten Schrei

Das ist die Formel für die Recycling-Revolution: Technologie aus der Schweiz, Lösungsmittel aus England und eingesammelte Kleider aus der ganzen Welt. Das steckt dahinter, wenn Sulzer und H&M kooperieren, um alte Textilien wiederzuverwerten.
Publiziert: 14.12.2020 um 06:49 Uhr
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Aktualisiert: 20.02.2021 um 17:54 Uhr
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Das braucht es für die Recyclingrevolution: Technologie und Prozesse von Sulzer aus der Schweiz ...
Foto: Nathalie Taiana
Christian Kolbe

Nun liegen sie bald wieder unter den Weihnachtsbäumen: die zwar gut gemeinten, aber selten den Geschmack des Beschenkten treffenden Kleidungsstücke. Unzählige Pullover, Hemden, Hosen oder Krawatten werden nach der Bescherung bestenfalls ein paar Mal getragen, verschwinden im Kleiderkasten, rutschen dort immer weiter nach hinten und landen im Idealfall in der Kleidersammlung.

Besser könnten die Kleider mit einem neuartigen Recyclingverfahren in ihre Bestandteile zerlegt, die eingesetzten Kunst- und Naturfasern wieder zurückgewonnen werden. Es entstünde ein Wertstoff von der gleichen Qualität wie der ursprüngliche Rohstoff.

Die Revolution ist Chefsache

Klingt nach Revolution – und das ist es auch: Die Schweizer Industriefirma Sulzer Chemtech und der schwedische Modegigant H&M haben dafür ihre Kräfte mit dem britischen Start-up Worn Again (deutsch: wieder getragen) gebündelt.

Die Recyclingrevolution hat ihren Ursprung unter anderem in Oberwinterthur ZH, in einem Industriegebäude direkt an der Bahnlinie Zürich–St. Gallen. Und das sind die Zutaten, die es dazu braucht: Technologie und Prozesse aus der Schweiz, eine – geheime – Formel für das Lösungsmittel aus England und jede Menge Kleider zur Wiederverwertung aus den Filialen eines schwedischen Modekonzerns.

BLICK weiss: Für Sulzer ist das Projekt Chefsache. Torsten Wintergerste (54), Leiter der Division Chemtech, ist seit letzter Woche auch Verwaltungsratspräsident der jungen Tech-Bude aus Grossbritannien. «Worn Again und Sulzer Chemtech haben ein gemeinsames Ziel: Wir wollen Textilabfälle reduzieren und darauf hinarbeiten, dass Ressourcen in einem ständigen Kreislauf gehalten werden», sagt Wintergerste, als er BLICK in den Industriehallen empfängt.

Sammelwütige Schweden

Das war in der Bekleidungsindustrie lange undenkbar: Abfall oder Afrika lautete bis vor ein paar Jahren die Devise für getragene Kleider. Heute sieht die Bilanz differenzierter aus, rund 60 Prozent aller hierzulande gesammelten Klamotten bekommen eine zweite Chance, landen in Secondhand-Shops in der Schweiz. Oder werden ebenfalls für den Zweitgebrauch nach Deutschland, Osteuropa und Afrika exportiert. Die restlichen knapp 40 Prozent enden als Putzlappen, Dämmmaterial oder in der Verbrennungsanlage.

Einer der grossen Sammler ist der Textilkonzern H&M: Seit 2016 können Kunden ihre alten Kleider in jede H&M-Filiale weltweit bringen. Die Schweden haben bis jetzt 100'000 Tonnen Alttextilien eingesammelt. Diese müssen wiederverwertet werden. «Nachhaltigkeit gehört für uns zu den Kernaufgaben», schreibt die H&M-Gruppe auf Anfrage von BLICK. «Deshalb ist Textilrecycling so wichtig für uns.»

Trennen von Mischgewebe

Bis jetzt war es nur möglich, Kleidung aus reiner Baumwolle wiederzuverwerten. In einem mechanischen Verfahren wird das Gewebe wieder in einzelne Fasern zerlegt. Daraus kann neues Garn gesponnen werden.

Das Problem: Das funktionierte bislang nicht bei sogenanntem Mischgewebe. Doch moderne Kleidung besteht immer häufiger aus Stoffen, in denen natürliche und künstliche Fasern miteinander verwoben sind. Sportliche Funktionsbekleidung sowieso, aber auch die klassische Jeans ist längst nicht mehr aus reiner Baumwolle. Meist stecken ein paar Prozent Polyester, Elasthan oder eine andere Kunstfaser im Stoff, um den Tragekomfort zu erhöhen.

Testanlage in Oberwinterthur

Die Lösung dieses Problems liegt in Oberwinterthur, in einem unscheinbaren Industriegebäude, das schon bessere Zeiten gesehen hat. «Wir haben ein chemisches Verfahren entwickelt, um Mischgewebe in seine Bestandteile zu zerlegen», erklärt der Chef von Sulzer Chemtech. Die Bestandteile: Das sind Baumwolle, Polyester und Farbstoffe. Nur die Farbe landet im Müll. «Baumwolle und Polyester haben Ursprungsqualität, können wieder verarbeitet werden», sagt Wintergerste. «Das ist einzigartig! Wir schaffen aus alten Kleidern neue Rohstoffe.»

Der Erfolg kommt für die arg gebeutelte Division von Sulzer zur rechten Zeit. Im Sommer musste Chemtech 55 Stellen abbauen, ein sinkender Ölpreis und die Corona-Krise haben die Nachfrage nach Trenntechnologie aus der Schweiz einbrechen lassen. Nun steht hier am Rand von Winterthur ZH eine grosse Testanlage. In den mit Silberfolie überzogenen Röhren und Tanks werden die einzelnen Schritte des Recyclingverfahrens erprobt.

Eine Branche kämpft um ihren Ruf

«Wir sind stolz und aufgeregt», sagt Greg Poux-Guillaume (50). Der Sulzer-Konzernchef ist extra für das Gespräch mit BLICK nach Oberwinterthur gekommen. «Unsere Technologien helfen, Alltagsprobleme unserer Kunden zu lösen. Das schafft auch wieder neue Jobs!»

Vorerst in England. Dort bauen Sulzer und H&M bei ihrem Gemeinschaftsunternehmen Worn Again eine Pilotanlage mit einem geplanten Output von 1000 Tonnen im Jahr. Anlagen mit bis zu 40'000 Tonnen Jahresleistung seien möglich, das Potenzial des Recyclingverfahrens ist enorm, glaubt Wintergerste.

«Die gesamte Modebranche steht bei uns Schlange. Alle sind an unserem Verfahren interessiert.» Kreislaufwirtschaft ist in der Branche ganz gross in Mode. Kein Wunder, kämpft doch die Textilindustrie seit Jahren darum, ihren angeschlagenen Ruf aufzupolieren.


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