Was darf der Vertrauensarzt?
Der Fall: Ein Arbeitnehmer erhielt die Kündigung. Nach einem Streit mit dem Chef liess er sich – noch während der Kündigungsfrist – krankschreiben. Das akzeptierte die Arbeitgeberin nicht und schickte ihn zum Vertrauensarzt. Dieser untersuchte den Mann und schickte der Arbeitgeberin eine detaillierte Diagnose zu, die eher psychiatrisches Gutachten als simples Arztzeugnis war. Die Zürcher Gerichte verurteilten den Vertrauensarzt wegen Verletzung des Berufsgeheimnisses. Das sah auch das Bundesgericht so.
Gut zu wissen: Wenn der Arbeitgeber ein Arztzeugnis anzweifelt, kann er einen zur Vertrauensärztin schicken. Er darf dann aber von dieser nicht mehr Informationen verlangen als von jeder anderen Ärztin. Erlaubt sind nur Informationen, die unmittelbar das Arbeitsverhältnis betreffen, also wie lange und zu welchem Grad jemand ausfällt. Das schreibt Artikel 328b des Obligationenrechts vor. Vertrauensärztinnen unterstehen ihrerseits dem Berufsgeheimnis. Sie können nach Artikel 321 des Strafgesetzbuchs bestraft werden, wenn sie dem Arbeitgeber zum Beispiel mitteilen, an welcher Krankheit Angestellte leiden. Ausser natürlich, diese hätten ausdrücklich zugestimmt.
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100 Prozent arbeitsunfähig und trotzdem arbeiten?
Eine Handarbeits- und Zeichenlehrerin unterrichtete donnerstags und freitags an einer Schule. Nebenher arbeitete sie als Künstlerin. Nachdem sie gekündigt hatte, warf sie der Schule vor, man habe sie gemobbt. Sie legte ein Arztzeugnis vor, das sie zu 100 Prozent krankschrieb. Die Schule setzte einen Privatdetektiv auf sie an. Er traf die Arbeitnehmerin an einem Donnerstag arbeitend in ihrem Atelier an. Daraufhin kündigte man ihr fristlos. Damit war die einstige Lehrerin nicht einverstanden. Sie klagte auf Schadenersatz und verlangte eine Entschädigung für die aus ihrer Sicht ungerechtfertigte Kündigung. Das Bundesgericht gab ihr recht.
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Gut zu wissen: Wenn ein Arzt eine Patientin voll arbeitsunfähig schreibt, bezieht sich das immer nur auf die konkrete Arbeitsstelle. Falls jemand mehrere Jobs hat, ist es darum denkbar, dass die Person an einem Ort 100 Prozent arbeitsunfähig, am anderen Ort aber 100 Prozent arbeitsfähig ist. Es kann sogar sein, dass eine bestimmte Beschäftigung gerade hilft, schneller gesund zu werden. Angestellte müssen sich dann nicht vorwerfen lassen, sie hätten sich im Widerspruch zum Arztzeugnis verhalten oder sogar ein bewusst falsches Zeugnis vorgelegt.
Innert welcher Frist ein Arztzeugnis einreichen?
Falls man krank werde, müsse man innert dreier Tage seit Krankheitsbeginn ein Arztzeugnis einreichen. Das stand im Arbeitsvertrag eines Monteurs. Als er arbeitsunfähig wurde, entbrannte ein Streit. Unter anderem warf ihm die Arbeitgeberin vor, er habe das Arztzeugnis zu spät abgeliefert. Das war zwar richtig. Gemäss Bundesgericht durfte die Arbeitgeberin deswegen aber nicht einfach aufhören, den Lohn zu zahlen.
Gut zu wissen: Wer arbeitsunfähig wird, dem wird – zumindest für eine gewisse Zeit – weiterhin der Lohn bezahlt. Das sieht Artikel 324a des Obligationenrechts vor. Diese Bestimmung ist relativ zwingend. Das heisst, dass man sie im Arbeitsvertrag nicht zum Nachteil der Angestellten abändern kann. Die Arbeitgeberin darf zwar bestimmen, dass man bereits ab dem ersten Tag, an dem man nicht arbeiten kann, ein Arztzeugnis einreichen muss. Solche Regelungen sind aber blosse Ordnungsvorschriften. Wer sie nicht einhält, verliert nicht automatisch seinen Anspruch auf Lohnfortzahlung. Denn Angestellte können auch mit anderen Mitteln beweisen, dass sie arbeitsunfähig sind beziehungsweise waren.
Den Arzt zum Zeugnis drängen?
Der Fall: Ein Psychiater begutachtete eine Patientin für die Invalidenversicherung. Er berichtete mehrfach, dass sie an depressiven Verstimmungen und einer Schlafstörung leide. Zudem habe sie schwer mit ihrer Lebenssituation zu kämpfen, insbesondere, weil ihr Ehemann alkoholkrank sei. Darum sei sie teilweise arbeitsunfähig.
Einige Jahre später erlitt die Frau einen schweren Unfall. Ihre gesundheitlichen Probleme verschlimmerten sich. Sie bat den Psychiater, ihre Depression gegenüber der Unfallversicherung nicht zu erwähnen – weil sie negative Konsequenzen fürchtete. Der Psychiater schrieb dann: «Solange ich Frau A. kannte, hatte sie nie Anzeichen einer depressiven Erkrankung. Viel eher konnte ich davon ausgehen, dass sie sich in einem psychopathologisch völlig ausgeglichenen Zustand befand und allen Ansprüchen ihres Lebens gewachsen war.» Der Arzt wurde wegen des falschen ärztlichen Zeugnisses verurteilt. Zu Recht, wie das Bundesgericht urteilte.
Gut zu wissen: Arztzeugnisse müssen wahr sein. Ärzte, die wider besseres Wissen etwas verschweigen oder Falsches bezeugen, können sich nach Artikel 318 des Strafgesetzbuchs strafbar machen. Und auch für Patientinnen kann das nachteilig sein: Wer falsche Angaben macht, riskiert, dass Versicherungsleistungen gekürzt oder sogar ganz gestrichen werden. Den Arzt zu einem bestimmten Zeugnis zu drängen, ist also keine gute Idee.