Szenen wie im Film müssen es gewesen sein: Mit einem Aufgebot von vier Autos fuhr am 3. April die Polizei am Hauptsitz der Fahrradmarke Scott in Givisiez FR vor. Der Grund: Vertreter der südkoreanischen Mehrheitsaktionärin Youngone Corporation seien mit bewaffneten Sicherheitsmännern aufgekreuzt.
Laut eigenen Angaben hatte Scott ihren CEO Beat Zaugg einige Tage zuvor fristlos entlassen. Zaugg, der langjährige Chef und massgebliche Treiber des Erfolgs von Scott sowie Inhaber einer knappen Aktienminderheit von 47 Prozent, habe sich jedoch geweigert, den Platz zu räumen. Das habe zu einem Aufstand geführt, angebrüllt habe man sich gegenseitig. Zaugg bot schliesslich die Polizei auf.
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Am Streit um die Kontrolle über den Velohersteller änderte das nichts mehr. An der Spitze installierte der Mutterkonzern, dem Zaugg 2015 eine knappe Mehrheit von 50,01 Prozent der Aktien verkaufte, den Investmentbanker Ju Won Kim. Seit dem 9. April ist dieser auch im Handelsregister eingetragen, Beat Zaugg wurde gelöscht.
Doch warum kam es überhaupt zu diesem Drama? Scott, ein Zugpferd der Velobranche, wirtschaftete erfolgreich. Zu seinen Aushängeschildern zählen der Schweizer Ausnahmesportler Nino Schurter sowie die amerikanische Weltmeisterin Kate Courtney.
Dem Vernehmen nach produziert die Firma mehr als 700’000 Fahrräder pro Jahr – während Corona dürften es noch deutlich mehr gewesen sein. Doch bereits im Januar hatte die Firma auf sich aufmerksam gemacht. Sie war in finanzielle Schieflage geraten, der Mutterkonzern Youngone gewährte einen Kredit über 150 Millionen Franken. Offenbar zu einem Satz von 4,6 Prozent und somit zu keinem Freundschaftspreis, wie der «Bund» schreibt.
Scott ist kein Einzelfall
Dabei ist Scott gar nicht die einzige Velofirma, die derzeit mit Absatzschwierigkeiten zu kämpfen hat. Die ganze Branche ächzt. «Momentan trifft es jeden», sagt ein kleiner Bikehändler. Bisher habe er sich im Gegensatz zu grossen Händlern auf die treue Kundschaft verlassen können, erzählt er. Doch auch die verzichte jetzt auf den Kauf eines neuen Bikes.
Die Branche befindet sich im Tief des Schweinezyklus. Noch während der Pandemie konnten gar nicht genug Velos auf den Markt geworfen werden, sehr viele Menschen suchten den Ausgleich in der freien Natur. Das zeigen die Zahlen des Verbands der Fahrradbranche Velosuisse: Im Jahr 2020, als die Pandemie ihren Höhepunkt erreichte, schnellte die Anzahl verkaufter Fahrräder um fast 40 Prozent in die Höhe auf über eine halbe Million Stück.
Allen voran rissen sich die Leute um Sportfahrräder wie Bikes oder Rennräder. Aber auch um sogenannte Gravelbikes, eine Art Rennvelo mit gröberen Rädern, die sich für Schotterstrassen und längere Touren eignen. Für viele erfolgte jedoch einfach die Erneuerung des Alltagsvelos, oder sie investierten in ein E-Bike.
Als dann alle mit einem sportlichen Rad ausgerüstet waren und die Krise abflaute, kehrten viele zur Arbeit zurück. Dies kurbelte bis 2022 den Verkauf von E-Bikes markant an und kompensierte den Rückgang der Sportbikes. Doch nun, drei Jahre später, ist der Markt offenbar bedient. Die Anzahl verkaufter Fahrräder sank unter 400’000, was auch der Geschäftsführer von Velosuisse, Martin Platter, bestätigt: «Die Dynamik der Vorjahre wurde unterbrochen.» Alle sind ausgerüstet.
Zwar ist die Anzahl verkaufter Bikes noch immer höher als vor der Pandemie, doch die Zahlen könnten weiter sinken. Denn auch dieses Jahr startete der Verkauf schleppend. Die wiederkehrenden Wintereinbrüche im April dämpften die Kaufeuphorie. Die Velos blieben mehrheitlich im Keller, selbst bei den hartgesottensten Gümmeler, während die Skigebiete ihre Saison verlängerten.
Auf den Service ist Verlass
Immerhin: Auf den Service ist Verlass – das gilt zumindest für jene, die ihn anbieten. Wer sein Velo für bisher ausgebliebene Frühlingstouren aufrüsten möchte, muss mit langen Wartezeiten rechnen. «Der Stationäre hat noch immer den Trumpf mit dem Service», sagt Platter.
Das liegt einerseits daran, dass die Komplexität von Fahrrädern in den letzten Jahren stark zugenommen hat. Bremsen entlüften, eine Schaltung einstellen oder beim E-Bike den Antrieb auswechseln – das alles ist für den Laien kaum mehr möglich. Wer es ausprobiert, hat danach vielleicht ein unbrauchbares Velo oder riskiert im schlimmsten Fall einen Stromschlag.
Anderseits stehen in Schweizer Kellern rund fünf Millionen Fahrräder und über eine Million E-Bikes. Im Schnitt – wenn nicht gerade Corona zuschlägt – kaufen sich die Schweizer alle zehn Jahre ein neues Fahrrad. Das wird dann während neun Jahren repariert, weshalb der Service- und Teilebereich weniger von den aktuellen Entwicklungen betroffen ist.
Trotzdem fallen vielerorts Abschreiber auf die Warenlager an, die Preise für Fahrräder und Ersatzteile fallen. Shimano, der Marktführer für Velokomponenten, verzeichnete im vergangenen Jahr einen Umsatzrückgang von rund 30 Prozent. Das spüren die Händler – sie profitierten von der Krise, da sie zum tieferen Preis eingekauft hatten und dank der steigenden Preise ihre Margen verbessern konnten.
Nun ist das Gegenteil eingetreten: Sie kauften während der Krise zu erhöhten Preisen ein und müssen nun Abschläge machen. Profiteure sind aktuell die Konsumentinnen und Konsumenten, die wieder Velos zum «nach unten korrigierten Preisniveau» erstehen können.
Benko fuhr mit Bikester in die Krise
In Bezug auf den Teile- und Zubehörmarkt scheint aber ein aggressiver Konkurrent den Markt verlassen zu haben: René Benko, der mit seiner Signa-Gruppe gerade in den Konkurs geradelt ist. Die Signa-Tochter Internetstores war mit mehreren Online-Shops auch im Velomarkt unterwegs, in der Schweiz unter anderem mit Bikester.
Als der Markt während der Pandemie boomte, schaltete Bikester zur besten Sendezeit vor der SRF-Tagesschau TV-Werbung. Der Onlineshop setzte auf Parallelimport in den teuren Schweizer Markt und bot Fahrräder sowie Ersatzteile und Zubehör hierzulande teilweise unter lokalen Einkaufspreisen an, wie in der Branche zu hören ist.
Doch damit ist vorerst Schluss. Seit November verramschten die Online-Shops die noch vorliegende Ware. Bald häuften sich Meldungen von ausbleibenden Lieferungen, der Konsumentenschutz riet von Bestellungen ab. In der Zwischenzeit suchte der Insolvenzverwalter eine Lösung, bald fand sich ein Käufer. Es ist mit René Marius Köhler ein alter Bekannter. Der Gründer von fahrrad.de und Internetstores hatte 2016 die Mehrheit an die Signa Gruppe verkauft.
Doch bis die Webseite wieder läuft, dauert es noch. Die Konkurrenz jubelt vorläufig: «Seit dem Konkurs ist es viel angenehmer», so ein Importeur. Ein erster Hoffnungsschimmer also für die Velohändler. Bis sich der gesamte Markt wieder eingependelt hat, braucht es aber noch viel Zeit. Öffentliche Streitereien wie bei Scott kommen in der Branche schlecht an. Oder in den Worten des Bikehändlers, der die Marke vertreibt: «Das schadet der Brand enorm!» Wer sich derzeit ein Velo kauft, wird sich zweimal überlegen, ob es ein Scott oder eines der vielen anderen sein wird.