Wenn das keine gelebte Demokratie ist, wie sie Twitter-Chef Elon Musk (51) laut eigenen Beteuerungen beim Kurznachrichtendienst durchzusetzen versucht. Am Sonntag hat Musk überraschend eine Twitter-Umfrage online gestellt, die nichts Geringeres als die Schicksalsfrage über seine eigene Zukunft stellt. Die Frage, über die User nach viel Kritik an seinem Management abstimmen: «Soll ich als Vorsitzender von Twitter zurücktreten?»
Stimmen können bis am Montagmittag Schweizer Zeit abgegeben werden. Erste Trends lassen auf wenig Rückhalt für Musk schliessen. Rund vier Stunden vor Schluss der Umfrage waren rund 14 Millionen Stimmen abgegeben. 57 Prozent der User verlangen Musks Rücktritt als Twitter-CEO.
Das Ergebnis der Umfrage sei verbindlich. «Ich werde mich an die Ergebnisse dieser Umfrage halten», schreibt Musk. Und er antwortet einem Skeptiker, der in der Befragung bloss ein Manöver sieht, um einen Strohmann von Musk an die Spitze von Twitter zu setzen: «Keiner will den Job, der Twitter tatsächlich am Leben erhalten kann. Es gibt keinen Nachfolger.»
Die Frage ist: Was kommt danach. Auch wenn Musk als CEO zurücktritt, bleibt er Besitzer der Firma, für die er kürzlich den exorbitanten Preis von 44 Milliarden Dollar gezahlt hat.
Selbstüberschätzung?
Der zweitreichste Mensch der Welt hätte als Boss von Tesla und SpaceX sowie einer Reihe von Tech-Unternehmen bereits alle Hände voll zu tun. In Twitter sah Musk das Potenzial, ein unabhängiges Informationsportal zu schaffen, das in Zukunft wohl auch zur Zahlungsplattform und so zur universellen Multiplattform würde. Sein erstes Vermögen hatte Musk bekanntlich als Mitgründer des Online-Zahlungsdienstes Paypal gemacht.
Möglich, dass sich Musk überschätzt hat. Im Zuge der chaotischen Umstrukturierung und Neuausrichtung bei Twitter legt sich der Multimilliardär mit mächtigen Interessengruppen und Lobbys an.
In der vergangenen Woche geriet er verstärkt unter Beschuss, weil er Accounts zeitweise gesperrt hatte, darunter die von prominenten Journalisten bei der «Washington Post», CNN und anderen. Jetzt verspürt der gebürtige Südafrikaner offenbar so mächtigen Gegenwind, dass er sein Führungsamt zur Verfügung stellt.
Warnung an Nachfolger
Der Informatiker, Wissenschaftler, Youtuber und Podcaster Lex Fridman (39), der über stattliche 2,3 Millionen Twitter-Follower verfügt, meldete gleich Interesse am Job an. «Lass mich eine Zeit lang Twitter betreiben», schreibt er an Musk. «Kein Gehalt. Alles inklusive. Konzentriere du dich auf grossartige Technik und mehr Liebe auf der Welt.»
Musks Antwort: «Du musst Schmerzen sehr mögen. Die Sache hat nur einen Haken: Du musst deine Lebensersparnisse in Twitter investieren. Das Unternehmen befindet sich seit Mai auf der Überholspur zum Konkurs. Willst du den Job immer noch?» Klare Ansage von Musk, dass er sich mit dem Kaufpreis von 44 Milliarden Dollar verzockt hat. Und auch als Nicht-CEO gehört ihm das Unternehmen noch immer.
Musk entspannt beim WM-Final
Während die Kontroversen und Probleme um Twitter und seine Person liefen, liess es sich Musk nicht nehmen, den spektakulären WM-Final am Sonntag zwischen Argentinien und Frankreich live in Katar mitzuverfolgen. Während die Partie lief, lief auch seine Online-Umfrage über seine Zukunft. Gelassen schüttelt Musk Hände. Über einen Plan B liess er noch nichts verlauten.