Starker Franken
Ist die Nationalbank unter Zugzwang?

Die Franken-Aufwertung hat sich beschleunigt und verschärft die Probleme der Industrie. Womöglich hat die SNB schon am Markt eingegriffen.
Publiziert: 12.01.2024 um 08:49 Uhr
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Aktualisiert: 16.01.2024 um 14:57 Uhr
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Devisenverkäufe stehen gemäss SNB nicht mehr im Vordergrund. Aber was ist mit Käufen? SNB-Spitze mit (v.l.) Vize Martin Schlegel, Präsident Thomas Jordan und dem stellvertretenden Direktionsmitglied Thomas Moser.
Foto: Keystone
Peter Rohner
Handelszeitung

Seit Anfang Jahr oszilliert der Euro-Franken-Kurs um die 93 Rappen herum. Zum Dollar hat der Franken leicht nachgegeben und notiert zu 85 Rappen pro Dollar. Am Gesamtbild aber hat sich nichts geändert. Der Franken ist in Bestform: Nie zuvor war der Euro während mehrerer Tage billiger zu haben. Zum Dollar ist der Franken ebenfalls nahe der Rekordmarken.

Da stellen sich viele Fragen: Ist die Franken-Stärke fundamental gerechtfertigt oder spielen die Währungsmärkte verrückt? Müssen wir uns nach dem Unterschreiten der Parität zum Euro auf eine Acht im Zehner des Wechselkurses gefasst machen? Und wie wird die neuerliche Aufwertung von der Industrie und der Nationalbank aufgenommen?

Artikel aus der «Handelszeitung»

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Klar ist: Der jüngste Aufwertungsschub unterscheidet sich in einem zentralen Punkt von der bisherigen Franken-Stärke: Er ist real und nicht nur nomineller Natur.

Bisher ging die Aufwertung des Frankens mit der unterschiedlichen Inflation in den Währungsräumen einher: In der Euro-Zone zum Beispiel sind Güter und Dienstleistungen letztes Jahr im Schnitt 6 Prozent teurer geworden, in der Schweiz betrug die durchschnittliche Inflation im vergangenen Jahr dagegen nur 2,1 Prozent. Dies hat die Abwertung des Euros mehr oder weniger ausgeglichen. Die Kaufkraft des Frankens im Euro-Land blieb etwa gleich. Die Aufwertung fand nur auf dem Papier statt, sie war nur nominell, aber realwirtschaftlich hatte sich wenig geändert.

Das hat sich nun aber geändert. Auch in der Euro-Zone hat der Preisauftrieb spürbar nachgelassen, im November betrug die Inflation nur noch 2,4 Prozent, trotzdem fiel der Euro weiter. «Die jüngste Aufwertung geht über die Inflationsdifferenz hinaus», sagt daher Elias Hafner, Devisenstratege bei der Zürcher Kantonalbank.

Auch das Tempo der Aufwertung ist aussergewöhnlich. Zwischen den 97 Rappen und den 93 Rappen lagen knapp dreissig Tage. Dafür gibt es laut Thomas Stucki nur eine Erklärung: «Tiefere Erwartungen an die EZB-Zinsen», so der Anlagechef der St. Galler Kantonalbank.

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Marktteilnehmerinnen und Marktteilnehmer haben in den vergangenen Wochen ihre Erwartungen bezüglich des Zinspfades der EZB revidiert. Ende November hatten die Märkte für 2024 vier Zinssenkungen ab Mitte Jahr eingepreist. Unterdessen werden fünf bis sechs Lockerungsschritte erwartet, der erste eventuell schon im Frühling. Grund für die veränderten Markterwartungen sind die schwachen Konjunkturaussichten und der rasche Rückgang der Inflation.

Für die Schweiz sind die Zinsssenkungserwartungen weniger ausgeprägt, nur schon deshalb, weil die Leitzinsen mit 1,75 Prozent weniger als halb so hoch sind wie in der Euro-Zone, aber auch weil die Konjunktur hierzulande robuster ist. Die Aussichten auf einen schrumpfenden Zinsvorteil des Euro macht den Franken für Anleger attraktiver, also wertet er sich auf, sowohl nominell als auch real.

Das zeigen auch die sogenannten realen Wechselkursindizes. Das sind handelsgewichtete Währungsindizes, die um die Inflationsdifferenzen korrigiert sind. Der von der SNB monatlich berechnete reale effektive Franken-Index ist nach oben ausgebrochen und hat das höchste Niveau seit dem Frankenschock 2015 erreicht. Das hängt vor allem mit der Schwäche des Dollars und des chinesischen Yuan zusammen.

Nimmt man nur den Euro als Referenz, ist die reale Aufwertung gemäss SNB-Daten etwas weniger prägnant und hat erst im Dezember richtig Fahrt aufgenommen.

Reale Aufwertung tut der Industrie weh

Wenn eine Aufwertung grösser ist als die relative Veränderung der Preise, dann hat sie reale Auswirkungen. Der Wochenendeinkauf in Konstanz lohnt sich nun noch mehr, und Ferien im Ausland werden noch billiger. Importe werden günstiger, dafür verteuern sich Schweizer Produkte im Ausland.

Für die exportorientierte Industrie kommt der Aufwertungsschub deshalb zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Ihr schlägt schon seit Monaten ein eisiger Wind entgegen: Die gestiegenen Energiepreise treiben die Kosten in die Höhe, die Nachfrage aus China und Deutschland ist schwach, die Auftragsbücher leeren sich – alles Symptome einer Industrierezession. Wegen der schlechten Auftragslage kam es punktuell bereits zu Entlassungen.

Wieder etwas mehr Kurzarbeit

Zudem müssen mehr Firmen aus dem Industriebereich Kurzarbeit einführen. Darauf deuten Medienberichte zu den Unternehmen sowie die Anträge bei den kantonalen Arbeitsämtern hin. So haben zum Beispiel das Stahlwerk Gerlafingen SO, der Technologiekonzern Trumpf für sein Werk in Grüsch GR und der Maschinenbauer Bystronic in Niederönz BE Kurzarbeit eingeführt oder angekündigt.In den offiziellen Zahlen des Staatssekretariats für Wirtschaft Seco zur Kurzarbeitsentschädigung bis und mit Oktober sieht man den Anstieg noch nicht, weil eine Voranmeldung noch keine Nutzung der Gelder darstellt. Doch eine Zunahme sei absehbar, meint das Seco, aber nur eine moderate.

Ausserdem war damals der Euro noch bei 0.98 Franken. «Seither hat sich die Zahl der Anträge auf Kurzarbeit nochmals markant erhöht», sagt Jean-Philippe Kohl, Vizedirektor und Leiter Wirtschaftspolitik beim Branchenverband Swissmem, welcher unter anderem die Mitglieder bei den Anträgen auf Kurzarbeit unterstützt.

Kohl ist überzeugt, dass der Trend anhalten wird. «Es ist ein toxisches Gemisch.» Wegen der Flaute in der globalen Industrie werde der Kuchen allgemein kleiner, aber Schweizer Unternehmen hätten es wegen der starken Währung besonders schwer.

Swissmem erwartet deshalb, dass die SNB auf die Lage der Schweizer Industriefirmen angemessen reagiert. «Selbstverständlich nur, solange die Preisstabilität nicht gefährdet wird», fügt Kohl an.

Devisenkäufe sind umstritten

Instrumente hat die SNB dazu zwei: die Leitzinsen oder Devisenkäufe. In der letzten Beurteilung hat sie jedoch klargemacht, dass Zinssenkungen kein Thema sind, aber man für Devisenmarktinterventionen bereit ist, womit Devisenkäufe gemeint sind. Denn Devisenverkäufe stünden nicht mehr im Vordergrund.

Im vergangenen Jahr hat die SNB über 100 Milliarden Fremdwährungen veräussert und damit den Franken bewusst etwas gestützt, weil es sich günstig auf die Inflation auswirkte. Ausserdem hat sie damit den riesigen Fremdwährungsanlagenbestand etwas reduzieren können, der ihr 2022 130 Milliarden Verlust eingebrockt hatte. Auch 2023 dürfte ein Verlust von 3 Milliarden resultieren, wie die SNB diese Woche mitteilte.

Am Markt wird spekuliert, ob die SNB in den letzten Tagen bereits aktiv geworden ist. Kaum fällt der Kurs unter 0.93, setzt eine auffällige Gegenbewegung ein. Ausserdem sind die Sichteinlagen, die die Banken bei der SNB halten, zuletzt in der Woche bis zum 5. Januar zum ersten Mal seit längerem signifikant gestiegen, um rund 6 Milliarden Franken. Das könnte ein Hinweis auf Devisenkäufe sein. Denn wenn die SNB Fremdwährung erwirbt, schreibt sie Franken-Guthaben den Banken gut.

«Wir rechnen eigentlich schon jetzt mit Massnahmen der SNB. Der Kurssprung von vergangenem Donnerstag könnte eine Folge davon gewesen sein», sagt Thomas Flury, Devisenspezialist bei der UBS.

Die SNB hat aber auch gute Gründe, mit Devisenkäufen noch abzuwarten, denn sonst würden die Fremdwährungsreserven und die Notenbankbilanz wieder zunehmen. Dass dies auch negative Folgen haben kann, zeigte der rekordhohe Abwertungsverlust im Jahr 2022 und die anhaltenden Kosten für die Verzinsung der Sichtguthaben. Andererseits wäre der kategorische Verzicht auf Interventionen aber eine Einladung an Spekulanten.

Der Trend beim Euro-Kurs geht nach unten

Wird der Franken also stetig noch stärker und kostet der Euro bald nur noch 80 Rappen? Der langfristige Trend würde die These unterstützen, solange die Inflation hierzulande tiefer ist als in der Euro-Zone. Doch Modelle der Kaufkraftparität deuten darauf hin, dass der Euro-Franken-Kurs den gemäss Inflationsdifferenz fairen Wert schon unterschritten hat. Die ZKB verortet diesen bei 96 Rappen. Die UBS sieht den Gleichgewichtskurs zwischen 0.95 und 1.00 Franken pro Euro. Das erklärt, dass die Mehrheit der von Bloomberg zusammengetragenen Bankenprognosen den Euro-Franken-Kurs 2025 nahe Parität sehen. Allerdings stammen die Prognosen noch vom Dezember.

Aktuellere Einschätzungen ergeben eine anderes Bild: Experte Stucki von der SGKB erwartet auf sechs bis zwölf Monate einen Kurs zwischen 92 und 93 Rappen. In Schockmomenten und einer Flucht in sichere Häfen lägen auch tiefere Kurse drin.

Technische Gegenbewegungen sind immer möglich. Aber nachhaltig wieder schwächer wird der Franken nur, wenn der europäischen Wirtschaft eine sanfte Landung gelingt und die Schweizer Inflation über jener der Euro-Zone liegt. Das ist ein unwahrscheinliches Szenario. Deshalb wird die Frage der Devisenmarktinterventionen die SNB noch lange beschäftigen.

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