Die Klarer Fenster AG in der Stadt St. Gallen produziert Fenster in allen Farben und Formen – seit mehr als 125Jahren. Die vergangenen Wochen gehörten jedoch zu den turbulenteren der Firmengeschichte: «Wir bekommen fast jeden Tag Post von Lieferanten, die eine Preiserhöhung ankündigen», sagt Rafael Klarer (32), der den 60-Mann-Betrieb zusammen mit Bruder Adrian (34) und Vater Josef (62) führt.
Ob Holz, Aluminium, Kunststoff oder Glas – sämtliche Rohstoffe, die für die Fensterproduktion unverzichtbar sind, haben sich in den vergangenen Monaten massiv verteuert. Der Kubikmeter Fichtenholz zum Beispiel kostete vor einem Jahr noch 700 bis 800 Franken, jetzt werden rund 1500 Franken fällig. Dementsprechend stark hat sich auch das Endprodukt verteuert.
Damit nicht genug: Gewisse Materialien und Bauteile sind zum Teil kaum noch oder nur nach langer Wartezeit erhältlich. Adrian Klarer: «Vergangenes Jahr hatten wir zeitweise keine Dübel für die Verleimung der Fensterteile mehr. Wir hatten Angst, dass wegen eines solch banalen Bauteils die Produktion eingeschränkt werden muss.»
Lieferengpässe wie diese, die bereits während der Pandemie zum Problem wurden, haben sich wegen des russischen Angriffskriegs in der Ukraine nochmals verschärft. Hinzu kommt, dass die Nachfrage auf dem Bau in vielen Regionen nach wie vor aussergewöhnlich hoch ist. Wer jetzt baut, braucht deshalb nicht nur ein dickeres Portemonnaie als vor zwei Jahren, sondern auch mehr Geduld. Rafael Klarer: «Gerade heute Morgen hat ein Architekt angerufen, der bis im Juli Fenster wollte für einen Umbau. Normalerweise wäre das kein Problem. Doch nun musste ich ihn bis September vertrösten.»
Grosse Unsicherheit
Für Baufirmen ist die aktuelle Situation Fluch und Segen zugleich. Die Auftragsbücher sind voll, die explodierenden Kosten aber sorgen für Unsicherheit und hitzige Diskussionen: «Die aktuelle Entwicklung ist so dynamisch, dass es nicht einmal möglich ist, verbindliche Zahlen zum Umfang der Preissteigerung zu erhalten», sagt Matthias Engel, Mediensprecher beim Schweizerischen Baumeisterverband (SBV). Besonders stark verteuert hätten sich Stahl-, Kunststoff- und Bitumenprodukte. Letztere werden im Strassenbau und für Abdichtungsarbeiten gebraucht.
Vermehrt zum Problem werden auch hier längere Lieferzeiten beim Material für den Rohbau. Engel: «Es ist sowohl für die Bauherren als auch für die Bauunternehmen eine riesige Herausforderung. Wir müssen nun gemeinsam dafür sorgen, dass drohende Verzögerungen früh erkannt werden. Schliessungen von Baustellen gilt es um jeden Preis zu vermeiden.»
Von den Schwierigkeiten sind nicht nur private Bauherren betroffen, sondern auch die öffentliche Hand. Mehrere Städte und Kantone teilten auf Anfrage von SonntagsBlick mit, sie rechneten in den kommenden Monaten mit Komplikationen. «Mehrere von uns beauftragte Bauunternehmungen haben uns darauf hingewiesen, dass sich die Lieferfristen verlängert haben und gewisse Materialien früher bestellt werden müssen», sagt etwa Reto Zurbuchen, Leiter des Tiefbauamts der Stadt Bern. Die bisher übliche Praxis, dass Materialien sozusagen «just in time» auf die Baustelle geliefert würden, könne nicht mehr in jedem Fall garantiert werden.
Beim Bau- und Umweltdepartement des Kantons St. Gallen klingt es ähnlich. «Der Kanton erwartet, dass es in Zukunft vermehrt zu Terminverzögerungen aufgrund von Lieferengpässen kommt», sagt ein Sprecher. Das Tiefbauamt der Stadt St. Gallen, das für den Strassenbau verantwortlich ist, geht ebenfalls fest davon aus, dass solche Schwierigkeiten auftreten. «Wir rechnen mit möglichen Verzögerungen insbesondere in Bezug auf Lieferungen von Bau- und Bewehrungsstahl.»
Zuviel Arbeit
Doch nicht nur mögliche Verspätungen beschäftigen die Ämter. Weil Architekten, Baufirmen und Planungsbüros derart stark ausgelastet sind, werden bei manchen öffentlichen Ausschreibungen auch kaum Angebote eingereicht. «Es gibt vereinzelt städtische Bauprojekte, bei denen wir aufgrund der grossen Auslastung seitens Planungsbüros und Unternehmer wenige Offerten erhalten», lässt das Amt für Hochbauten der Stadt Zürich ausrichten.
Noch dramatischer klingt es bei der Baudirektion des Kantons Zürich: «Es kann in Ausnahmefällen vorkommen, dass Ausschreibungen abgebrochen und neu angesetzt werden müssen», teilt ein Sprecher des Amts mit.
Bauaufträge, die keiner will? Das hat nicht nur damit zu tun, dass mögliche Bauherren komplett ausgelastet sind, sondern auch mit dem Fehlen von geeignetem Personal. Dazu Ivo Vasella vom Schweizerischen Ingenieur- und Architektenverein (SIA): «Der Fachkräftemangel ist in unserer Branche seit Jahren ein grosses Problem. Zusammen mit der erhöhten Nachfrage und der Rohstoffknappheit kann das nun dazu führen, dass sich für gewisse Aufträge kaum jemand finden lässt.»
Der Fachkräftemangel beschäftigt auch die Klarer Fenster AG. «Wir sind ständig auf der Suche nach geeignetem Personal. Gut ausgebildete Projektleiter oder Monteure sind sehr schwer zu finden», sagt Adrian Klarer.
Nichtsdestotrotz ist das Unternehmen in den vergangenen Jahren stetig gewachsen. «Lange haben wir das HR selbst gemacht, sozusagen nebenbei. Mit 60 Mitarbeitenden geht das nicht mehr», so Bruder Rafael. Für einmal aber hat der Familienbetrieb aus den eigenen Reihen Verstärkung erhalten: Schwester Karin (30), die Jüngste der Familie, hat nun das Personalwesen übernommen.