Service inklusive oder nicht? Serviceangestellte erzählen
«Ohne Trinkgeld hätte die Gastronomie einen noch grösseren Fachkräftemangel»

In der Schweiz gilt gesetzlich Service inklusive. Daran hält sich allerdings kaum jemand. Die meisten Leute geben –zumindest gelegentlich – Trinkgeld. Serviceangestellte berichten, dass sie ohne den Zustupf kaum überleben könnten.
Publiziert: 14.08.2022 um 20:59 Uhr
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Aktualisiert: 14.08.2022 um 21:01 Uhr
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Pierre Gaspard, Barkeeper: «Ohne Trinkgeld wäre ein Überleben unmöglich.»
Foto: Sandra Marusic
Sarah Frattaroli

Die Löhne in der Gastronomie steigen überdurchschnittlich stark: Mit 4,4 Prozent mehr dürfen Köchinnen oder Serviceangestellte im nächsten Jahr rechnen, wie eine Umfrage der ETH-Konjunkturforschungsstelle KOF ergab.

Dennoch: Die Löhne in der Gastronomie bleiben mager. Für die meisten Leute gehört es daher zum guten Ton, die Rechnung im Restaurant aufzurunden. Blick-Leser und Barkeeper Pierre Gaspard (31) kann dem nur zustimmen: «Ohne Trinkgeld wäre ein Überleben unmöglich.» Der gelernte Koch arbeitet als Barkeeper im Hotel Schweizerhof in Lenzerheide GR. «Das Trinkgeld macht ein Viertel meines Lohnes aus», rechnet er vor.

Blick-Leserin Barbara Vögeli (37) bezeichnet das Trinkgeld als «schönen Zustupf». Die gelernte Köchin und Servicefachfrau hat der Gastronomie in der Zwischenzeit den Rücken gekehrt, erinnert sich aber noch genau, wie wichtig das Trinkgeld für ihr Einkommen jeweils war. «Dadurch kann man sich auch mal etwas Luxus leisten, mal in die Ferien gehen», erzählt sie.

Frauen sind spendabler als Männer

In der Schweiz gilt gesetzlich eigentlich «Service inbegriffen». Dennoch kam eine Umfrage der Bank Cler jüngst zum Schluss, dass sich nur gerade zwei Prozent der Bevölkerung in der Deutschschweiz an dieses Credo halten und konsequent auf Trinkgeld verzichten. Der Rest gibt – zumindest gelegentlich – Trinkgeld.

Am spendabelsten sind laut der repräsentativen Umfrage Personen über 65 Jahre und solche mit einem Monatslohn von mehr als 7000 Franken. Frauen geben tendenziell mehr als Männer, Städter mehr als die Landbevölkerung und Deutschschweizer mehr als Romands.

Tausendernötli für Zigaretten

Im Schnitt legen die Leute rund zehn Prozent der Rechnung als Trinkgeld obendrauf. Es gibt aber Ausreisser, gerade im Luxussegment. Ein Blick-Leser, der anonym bleiben möchte, berichtet, wie er als Concierge in Zermatt VS einmal ein Tausendernötli als Trinkgeld erhielt. Er hatte einem Gast spätabends noch Zigaretten organisiert.

Auch wenn ein Tausendernötli nicht die Regel ist, liefert das Trinkgeld vielen Angestellten in der Gastronomie die nötige Motivation. «Ohne Trinkgeld hätte die Gastronomie einen noch grösseren Fachkräftemangel», schätzt Barkeeper Pierre Gaspard.

Tatsächlich geben aktuell vier von zehn Gastrobetrieben an, nicht genügend Personal zu finden, um den gewünschten Service erbringen zu können. Die Öffnungszeiten werden eingeschränkt, die Speisekarte zusammengestrichen, in der Badi gibt es keine Pommes mehr. Das Trinkgeld wird den Personalengpass nicht lösen. Aber in Kombination mit den überdurchschnittlich steigenden Löhnen motiviert es wohl einige dazu, der Gastronomie treu zu bleiben. Knochenarbeit und Wochenendeinsätze hin oder her.

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