Der Anblick ist so ungewohnt wie ungeheuer. Besonders in Zeiten wie diesen. In der Schweiz herrscht akuter Wohnungsmangel. Eigenheime sind heiss begehrt. Doch hoch über dem kleinen Dorf Sins im Kanton Aargau stehen zehn Einfamilienhäuser – allesamt Neubauten – leer. Und das bereits seit drei Jahren.
Als Blick vor einem Jahr die mysteriöse Neubausiedlung in Augenschein nahm, fielen verwachsene Vorgärten auf. Überall wuchert Unkraut. Keine Autos auf den Parkplätzen, keine Möbel auf den Terrassen. Nichts, das auf Leben hinweisen würde. Keine Anwohner, die die Sicht auf die grünen Felder rundherum geniessen können. Doch das soll sich bald ändern. Denn die Einfamilienhäuser sind seit kurzem zum Verkauf ausgeschrieben, wie Recherchen von Blick zeigen. Es soll endlich Leben in die Geistersiedlung einziehen!
Stolze Preise für die Region
Der Luxusimmobilienmakler Wüst und Wüst wurde offensichtlich mit dem Verkauf der 10 Häuser beauftragt. Die Neubausiedlung wird auf der Website und in einem Newsletter des Maklers angepriesen. Die Häuser in «ruhiger und harmonischer Umgebung» würden durch ihre «Lage auf einer Hangkuppe mit schöner Aussicht Richtung Voralpen» bestechen. Zwischen 1,7 und 2,3 Millionen Franken kosten die Eigenheime mit 3,5 bis 7,5 Zimmern, steht in den Verkaufsprospekten, die Blick vorliegen.
Das sind stolze Preise für die Region. Erst recht für Häuser, die sich an der äussersten Grenze einer kleinen Gemeinde im Aargau befinden. Wer nach Zürich pendelt, braucht von hier aus mit dem ÖV über eine Stunde. Luzern und Zug erreichen die Anwohner in 45 Minuten.
Aussergewöhnliches Vorgehen
Warum die Häuser drei Jahre leer standen oder weshalb sie genau jetzt verkauft werden – darüber will die mit dem Verkauf beauftragte Maklerin nichts wissen. Nur so viel: Die Neubauten seien einwandfrei, versichert sie einem Interessenten, der anonym bleiben will. Ob die mehrjährige Vernachlässigung wirklich keine Spuren hinterlassen hat, wird sich noch zeigen.
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So oder so: Das Vorgehen ist aussergewöhnlich. In Normalfall schreiben Bauherren ihre Objekte schon aus, bevor der Bau losgeht. Nicht selten sind bei solchen Überbauungen bereits einige Häuser verkauft, bevor sie gebaut werden. Das hat den Vorteil, dass die Eigentümer beim Innenausbau – etwa bei Bodenbelägen oder Küchenausbau – mitreden können.
Die Gemeinde war machtlos
Als Blick zum ersten Mal über die Geistersiedlung berichtete, war der Bauherr, dessen Name der Zeitung bekannt ist, untergetaucht. Auf Anfragen von Blick reagiert er damals wie heute nicht. Telefonate und Mails laufen ins Leere.
Auch die Gemeinde, die sich in den letzten Jahren immer wieder mit der leerstehenden Siedlung beschäftigte, erhielt nie Antworten. «Wir finden es sehr schade, dass die Häuser bisher nicht verkauft wurden», sagte Uschi Ulrich, Leiterin Bau und Planung der Gemeinde Sins, damals zu Blick. An Interessenten soll es nicht gemangelt haben. Die Gemeinde erhielt immer wieder Anfragen für die Neubauten. Zur neuesten Entwicklung hat sich die Gemeinde auf Anfrage nicht geäussert.
Es dürfte alle Beteiligten freuen, dass nun endlich Leben in die Überbauung kommt. Trotz der hohen Preise wird es an Interessenten nicht fehlen. Die Neubauten bieten Wohnraum, der im ausgetrockneten Schweizer Eigenheimmarkt dringend gebraucht wird. Das kleinste der zehn Häuser, mit 3,5 Zimmern und 136 Quadratmeter Wohnfläche, ist bereits reserviert. Alle anderen sind noch zu haben.