Schätze statt Stangenware
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Secondhand auf der Überholspur
Schätze statt Stangenware

Früher galt es als ärmlich, heute ist Secondhand eine Lebensart. Vor allem junge Menschen kaufen vermehrt gebraucht. Mit den Kunden hat sich auch das Angebot verändert - hin zu innovativ und individuell. Und seit der Pandemie auch vermehrt zu online.
Publiziert: 21.02.2021 um 01:32 Uhr
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Aktualisiert: 04.03.2021 um 16:54 Uhr
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Seit September letzten Jahres bietet die deutsche Zalando-Seite gebrauchte Mode an. Läuft es gut, kommt die «Pre-Owned» Kategorie vielleicht bald auch in die Schweiz.
Foto: Keystone
Eliane Eisenring

Eine wenig befahrene Strasse, abseits der Innenstadt. Zwischen Anwaltsbüros und Lagerhallen versteckt sich ein muffiges Ladenlokal, vollgestopft mit Gebrauchtgegenständen, weitgehend unsortiert: In etwa so kaufte man früher, was heute Secondhand heisst. Und so stellen es sich viele noch immer vor.

Doch weit gefehlt: Der Markt für Kleidung mit Vorbesitzern hat sich in den letzten Jahren ge­wandelt. Und er boomt. Auch zu Corona-Zeiten. Das zeigt der «Resale Report» 2020 des US-Textilhändlers Thredup.

Während der reguläre Mode­einzelhandel von 2019 bis 2021 weltweit um schätzungsweise ein Sechstel schrumpfte, wuchs der Handel mit Waren aus zweiter Hand (engl.: Resale) um 71 Prozent, mehr als zwei Drittel davon waren Onlineverkäufe. Und auch die Prognosen sind vielversprechend: Der globale Secondhandmarkt soll bis 2024 einen Umsatz von umgerechnet gut 57 Milliarden Franken erzielen.

Das zieht Unternehmen an, die schon in der Modebranche etabliert sind, mit Secondhand bisher aber nichts am Hut hatten. Seit September gibt es nun auch auf der deutschen Zalando-Website eine Kategorie für gebrauchte Kleider. «Die Nachfrage unserer Kundinnen nach nachhaltigen Sortimenten und ­Lösungen steigt stetig», sagt eine Sprecherin des Onlinehändlers. Vor allem Junge begeistern sich für ­Secondhand: Laut Resale Report kauften 2019 in den USA 40 Prozent der Generation Z – Menschen unter 24 – gebrauchte Kleider.

Im Oktober hat Zalando sein «Pre-Owned»-Angebot auf Belgien, die Niederlande, Frankreich und Polen ausgeweitet. Wenn es gut läuft, sollen bald weitere Länder folgen, zum Beispiel die Schweiz. Der Zeitpunkt steht aber noch nicht fest. Doch schon jetzt gibt es hierzulande innovative Konzepte, die Secondhand von seinem angestaubten Image befreien sollen.

Shoppen nach Gewicht

Eines davon präsentiert das deutsche Unternehmen Vinokilo. 2016 gegründet, organisiert es viertägige Events, an denen man Secondhand nach Gewicht shoppen kann.

«Vinokilo», das komme von «Vintage», «Wein» und «Kilogramm», erklärt Mitbegründer Dominik Breu. Der Name ist eine Anspielung auf die Anfangszeit des Unter­nehmens, als die Events noch in Wohnzimmern stattfanden und zum Secondhand-Shopping auch ein Gläschen Wein gehörte.

Der Wein blieb, das Wohnzimmer wurde zur Eventhalle. Mittlerweile organisiert Vinokilo jedes Jahr rund 200 Veranstaltungen in europäischen Städten – mit durchschnittlich 1000 bis 1500 Besuchern. So traf man sich bereits in Basel, Bern, Genf, Luzern, St. Gallen, Thun BE, Winterthur ZH und Zürich.

Wegen Corona baute auch Vinkilo sein Onlineangebot aus. Über die Website beliefert das Unternehmen jetzt fast ganz Europa. Wichtig sind Mitgründer Breu vor allem die Events: «Wir präsentieren ­Vintage in einem anderen Kontext, in einer coolen Location. Wir wollen zeigen, dass ­Secondhand auch spannend und neu sein kann.»

Das ist auch die Devise des «Lieblingsmarkt» in Winterthur. Hier verkaufen Martina Kunz (50) und Pe­tra Egger (46) seit November 2018 ausgemistete Kleider. Wobei – eigentlich vermieten sie ihre Ladenregale. Und zwar an Einzelpersonen, die dort ihre gebrauchten ­Sachen anbieten.

Die vielen unterschiedlichen Verkäuferinnen sind das, was den Lieblingsmarkt ausmacht. «Wir haben eine einzigartige Vielfalt», sagt Martina Kunz, «weil wir die Stücke nicht aussortieren. Die Mieterinnen können verkaufen, was sie wollen.» Gemietet wird durchschnittlich für zwei bis drei Wochen. So oft wechselt also auch das Sortiment. «Und weil die Mieterinnen die Preise bestimmen, können Käuferinnen einzigartige Schnäppchen machen.»

Corona hat auch den Lieblingsmarkt zum Umdenken gezwungen. Seit dem ersten Lockdown nutzen die Inhaberinnen Facebook und Instagram. Dort posten sie täglich ein Outfit, das von den Followern gekauft und innerhalb eines bestimmten Zeitfensters abgeholt werden kann. Die Ausgaben werden so zwar nicht gedeckt. Aber: «Gerade jetzt ist es wichtig, den Leuten zu zeigen, dass wir noch da sind.»

Fürs gute Gewissen

Martina Kunz vom Lieblingsmarkt und Dominik Breu von Vinokilo sind sich einig: Secondhand hat einen ganz besonderen Reiz. Doch der wird noch nicht lange gesehen. Dem Boom ging ein Gesinnungswandel voraus: Zum einen liegt Nachhaltigkeit im Trend. Konsumentinnen sind stolz darauf, Secondhand zu kaufen. Laut der Umfrage von Thredup fühlen sie sich beim Kauf von Gebrauchtem etwa so gut, als würden sie einen Welpen adoptieren.

Seit Corona hat sich das Konsumbewusstsein noch weiter verstärkt. Auch in Hinblick auf Preise. Mehr Menschen setzen auf Genügsamkeit und Sparsamkeit.
Zu den Vorteilen von Nachhaltigkeit und nied­rigen Preisen kommt die Einzigartigkeit von Secondhand hinzu: «Die Kleider, die wir verkaufen, sind Einzelstücke», so Breu. «Die findet man so nicht noch einmal.» Kunz bestätigt: «Secondhand ist etwas für Perlentaucher und Schatzsucher, die keine Stangenware wollen.»

Das Umdenken der Konsumentinnen spornt auch Händler aus der regu­lären Modewelt an: So will Zalando bis 2023 die ­Lebensdauer von 50 Millionen Artikeln verlängern. Und Thredup erwartet, dass der Secondhandmarkt den Fast-Fashion-Sektor bis 2029 um 37 Milliarden Dollar überholt.

Eine gute Nachricht für die Umwelt. Und für den Schatzsucher in uns.

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