Steckt in der Bezeichnung «Schweiz» wirklich auch die Schweiz drin? Grundsätzlich müssen 80 Prozent der Rohstoffe eines Produkts mit Herkunftsbezeichnung Schweiz auch aus unserem Land stammen, wie es die sogenannte Swissness-Regel von 2017 besagt.
Doch es gibt eine Ausnahme: Wenn die Rohstoffe ungenügend verfügbar sind, ändert sich die Swissness-Regel. Konkret: Liegt der Selbstversorgungsgrad eines Produkts unter 50 Prozent, muss der Schweizer Anteil in einem Produkt nur noch halb so gross sein.
Das ist jetzt beim «Schweizer Zucker» der Fall. Für die Herkunftsbezeichnung Schweiz muss ab sofort nur noch 40 Prozent des Zuckers aus unserem Land stammen. Beudetet: Produkte mit «Schweizer Zucker» bestehen nun mehrheitlich aus ausländischem Zucker. Für die Konsumenten ein Etikettenschwindel par excellence.
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Die Ausnahme der Swissness-Regel greift, weil die Zuckerrübenernte im 2023 miserabel ausgefallen ist. Das Wetter und ein Befall mit Schädlingen machten den Rüben-Bauern zu schaffen. «Das letzte Jahr war zum Vergessen. Schlechter geht gar nicht», sagt Martin Flury, Präsident des Schweizerischen Verbandes der Zuckerrübenpflanzer.
Das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) hat grünes Licht zur Senkung von 80 auf 40 Prozent gegeben. Sie berechnen den Selbstversorgungsgrad jeweils über einen Dreijahresdurchschnitt. Die Daten erhält der Bund von den Rübenbauern selbst, konkret vom statistischen Dienst des Schweizer Bauernverbandes (SBV) Agristat.
Auf Anfrage bestätigt der Bauernverband dies und argumentiert: Agristat erstelle auch die Nahrungsmittelbilanz, die die beste vorhandene Datengrundlage sei. Und weist daraufhin: «Agristat hat dabei eine ausführende, technische Rolle und keinen Einfluss auf die Methode der Berechnung.»
Sowieso sei die Senkung des Selbstversorgungsgrades für die Rübenproduzenten «stark benachteiligend». Das Ziel des Bauernverbands sei deshalb klar: «Wieder über die 50-Prozent-Schwelle zu kommen, damit die Schweizer Herkunft wieder voll und nicht zur Hälfte in den Berechnungen zählt.»
Chocolatiers sind wütend
Die grossen Schweizer Schoggi-Produzenten sind vom Etikettenschwindel direkt betroffen. Lindt & Sprüngli zum Beispiel bezieht den «gesamten Zucker aus der Schweiz», wie eine Sprecherin gegenüber Blick klarstellt. Dafür zahlen die Chocolatiers einen Premium-Preis an die Schweizer Zucker AG, die in der Schweiz eine Monopolstellung innehat.
Öffentlich wollen sich die Schoggi-Riesen und auch die entsprechenden Branchenverbände nicht kritisch positionieren. In mehreren Gesprächen mit Blick lassen sie aber ihrem Ärger freien Lauf. Wiederholt kommt der Vorwurf, dass die Schweizer Zucker AG ihre Monopolstellung ausnutze und je nach Unternehmen deutlich unterschiedliche Preise verlange.
Damit von Blick konfrontiert, sagt ein Unternehmenssprecher: «Die Preise hängen vom Weltmarkt, von der Art des Zuckers und von der bestellten Menge ab.» Dass bewusst gewisse Anbieter preislich bevorzugt werden, stimme nicht.
Bundesrat tappt im Dunkeln
Fakt ist: Die Schweizer Zuckerproduktion ist längst zum Politikum worden. Nicht einmal der Bundesrat blickt beim Zucker-Wirrwarr mehr durch. Eine Interpellation von Mitte-Nationalrätin Andrea Gmür-Schönenberger (59) zum Thema beantwortete der Bundesrat unter anderem mit dem Satz: «Die Verkaufspreise der Schweizer Zucker AG sind nicht bekannt.»
Für die Konsumenten ist die Lex Zucker ein Schlag ins Gesicht. Schokolade wird nach dem neuerlichen Kakao-Preisanstieg in diesem Jahr teurer werden. Für die Schoggi müssen wir tiefer in die Taschen greifen – gleichzeitig konsumieren wir künftig Zucker, der mehrheitlich aus dem Ausland stammt.
«Ja, das kann verwirrlich sein», gibt auch der Bauernverband gegenüber Blick zu. Sie empfehlen den Konsumenten, auf das Label Suisse Garantie zu achten, da dieser zu mindestens 90 Prozent aus der Schweiz komme.