Auf einen Blick
Samstag, 30. November: In der Teilregion Kleine Scheidegg startet die Skisaison. Und das, obwohl am Grindelwalder Talboden ganz viele satte Grünflächen neben dem wenigen Schnee zu finden sind. Die grossen Schneemengen von Mitte November sind auch hier der Wärmeperiode zum Opfer gefallen. Ein Bild, das zu Beginn der Saison mittlerweile die Regel und nicht mehr die Ausnahme ist.
Seit Ende des 19. Jahrhunderts hat die natürliche Schneedecke deutlich abgenommen, bis 1500 Meter über dem Meer um 40 Prozent, auf 2500 um 17 Prozent. Niederschläge erfolgen gerade zu Saisonbeginn und -ende vermehrt in Tropfen- statt in Flockenform. Das zeigt ein vom Verband Seilbahnen Schweiz (SBS) und dem ETH-Klimaforscher Reto Knutti publiziertes Factsheet.
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Die Betreiber von Skianlagen stecken in einer Zange: Aufgrund von Schneemangel müssen sie in teure Beschneiungsanlagen investieren. Auch die Qualität der Seilbahnen ist ein Differenzierungsfaktor. Und nun kommen US-Betreiber mit ihren integrierten Modellen, bei denen sie Pisten, Bahnen und Restauration aus einer Hand anbieten. Haben Sie die Erfolgsformel für profitablen Wintertourismus gefunden? Ein Zahlenvergleich lässt daran zweifeln.
Sinkende Schneemenge, steigender Investitionsbedarf
Beinahe lautlos gleiten die Gondeln der neuen 3S-Bahn in der Kleinen Scheidegg unter dem Eiger in die Höhe. 3S steht für Dreiseilumlaufbahn, die neueste Technologie. Kostenpunkt: 45 Millionen Franken. Das teurere Pendant steht in Zermatt, fährt spektakulär auf das Klein Matterhorn und kostete 55 Millionen.
Die Topdestinationen rüsten auf. Dass gerade diese beiden Skigebiete die grössten Investitionen tätigen konnten, überrascht Philipp Lütolf von der Hochschule Luzern nicht: «Die Investitionsfähigkeit von Skiregionen beeinflusst massgeblich den Erfolg.» Der Hauptgrund dafür: Die Gebiete präparieren Pisten auf über 2000 Metern und haben so einen Garant für das weisse Gold. Das startet laut Lütolf eine Spirale: «Schneesicherheit bringt ein starkes Gästeaufkommen. Daraus resultiert der Cashflow, der wiederum das Investieren ermöglicht.» Mit im profitablen Skiclub fahren unter anderem auch die weisse Arena, das Aletschgebiet, Arosa und Davos-Klosters.
Der Professor ist der Zahlenguru der Wintersportorte und analysiert jährlich die Geschäftsberichte. Operiert ein Skigebiet dagegen unterhalb von 1500 Metern über dem Meer oder mangelt es an technischer Beschneiung, wird es eng: Dann schwindet die Schneesicherheit und die Spirale kann in die negative Richtung drehen, wenn keine Alternativen zum Wintersport gefunden werden.
Nicht nur die Bahnen sind teuer, auch die Beschneiungsanlagen verschlingen Unsummen. Weltweit kämen Skigebiete ohne künstliche Beschneiung nicht aus. Vor zwanzig Jahren betrug die künstlich beschneite Fläche in der Schweiz 14 Prozent, heute sind es über 50 Prozent. «Die Pistenpräparation mit den heutigen Carvingski verlangt den Skigebieten mehr ab. Gleichzeitig sind die Erwartungen vonseiten der Gäste an die Pisten gestiegen», sagt Jürg Stettler, Tourismusexperte an der Hochschule Luzern.
Vorbild Amerika für den Skisport
Doch rechnet sich das Ganze? Hier bekamen die Schweizer Skibetreiber unlängst Hilfe von unerwarteter Seite: aus den USA. Denn von dort schwappte der Trend zu dynamischen Preisen in die Schweiz. Skigebiete stellen ihre Tagespässe im Vorverkauf online. Frühbucher erhalten günstigere Tickets. Mit steigender Nachfrage steigt auch der Tagespreis.
War eine Tageskarte von 100 Franken vor ein paar Jahren noch ein absolutes No-Go, so ist das heute in grossen Skigebieten an sonnigen Tagen oder in der Hochsaison Standard. Ein Blick auf die Verkaufstools zeigt: Ein Ticket im Engadin für den 29. Dezember kostet aktuell 93 Franken, in Zermatt liegt das Standardticket bereits bei 101 Franken, das internationale sogar bei 118 Franken.
Das lässt kleine Skigebiete frohlocken: «Der Ankerpreis liegt bei 100 Franken, im Vergleich dazu scheinen Tagespreise von 75 bis 80 Franken deutlich günstiger. Kleinere Skigebiete können also im Windschatten der Grossen ihre Tagespreise erhöhen, ohne dass das sauer aufstösst», so Stettler. Doch gleichzeitig steigt die Angst vor Tagespässen im Wert von 200 oder 300 Franken, wie in den USA. Denn wer dort Ski fahren möchte, greift deutlich tiefer in die Taschen als hierzulande: Laut der National Ski Areas Association (NSAA) stieg der Preis pro Tagesticket in den Rocky Mountains im Durchschnitt von 97 Dollar in 2013 auf knapp 200 Dollar im vergangenen Jahr.
Treiber davon sind die beiden Giganten im Geschäft, Vail Resorts und Alterra. Ersterer ist börsenkotiert, Letzterer privat. Und beide mischen in der Schweiz mit: Alterra mit Partnerschaften, Vail mit Käufen. Vails CEO Kirsten Lynch stieg 2022 als Mehrheitsaktionärin bei Sawiris’ Bergbahnen in Andermatt ein, vor einem Jahr folgte die Übernahme der Bergbahnen, elf Bergrestaurants und des lokale Skischulbetreibers Sportlife in Crans-Montana.
Bergbahnen, Restaurants, Skischulen, Vermietung und Hotellerie – das amerikanische Geschäftsmodell liefert dem Gast das Rundum-sorglos-Paket. Skigebiete schreckten auf, äusserten ihre Sorgen, dass die Amerikaner nun Schweizer Skigebiete aufrüsten und auf ein konkurrenzlos hohes Level hieven.
Ein Gegner der vertikalen Integration ist der Verwaltungsratspräsident der Zermatt Bergbahnen, Franz Julen: «Ich bin überzeugt, dass unser Zermatter Modell erfolgreicher und nachhaltiger ist», sagte er im Interview mit «Blick». «Die Hotels und alle Unternehmen sind eigenständig und kämpfen jeden Tag für ihren Erfolg. Das sorgt für Innovation. Unsere Gäste sehen das ebenfalls so, sonst hätten wir nicht 2,7 Millionen Logiernächte pro Jahr.»
Eine Messgrösse zum Vergleichen
Welches Modell funktioniert besser? Vertreter des Schweizer Ökosystemansatzes wie Zermatt verweisen auf ihre Erfolge: Mit einem Umsatz von 96,7 Millionen Schweizer Franken und einer Ebitda-Marge von über 50 Prozent im vergangenen Jahr verzeichnete Zermatt ein Rekordjahr. Doch Expertinnen und Experten halten diese Zahlen für nicht aussagekräftig. Der Luzerner Wirtschaftsprofessor Philipp Lütolf verwendet dazu die Kapitalrendite: Er setzt das Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) in Relation zum Anschaffungswert der getätigten Investitionen.
Als sehr gute Kapitalrenditen gelten Werte über 5 Prozent. Die beiden Wintersaisons 2021/22 und 2022/23 zusammengenommen, erreichten diese Grenze Destinationen wie die Jungfrauregion und Zermatt, aber auch Laax-Flims, Davos-Klosters und Verbier.
Und wie schneiden die amerikanisch betriebenen Schweizer Skigebiete ab? Augenscheinlich äusserst gut – denn Vail Resorts weist eine Kapitalrendite von 17 Prozent aus. Aber: Höher ist in diesem Fall nicht besser. Denn Vail pusht seine Rendite mit zwei Mitteln: Zum einen erzielt der Betreiber dank seiner Abo-Strategie (siehe Box) und teurer Tagespässe höhere Umsätze. Zum anderen geizen sie bei den Infrastrukturausgaben, sprich, bei den Investitionen.
Laut Branchenkreisen seien die Anlagen von Vail eher alt, und wenn überhaupt gebaut wird, dann billigere Anlagen. Die zugespitzte Zusammenfassung: Gäste zahlen bei Vail höhere Preise für die Fahrt auf schlechteren Bahnen.
Ein Blick nach Crans-Montana bestätigt das Bild: 30 Millionen will Vail während der nächsten fünf Jahre investieren, 6 Millionen pro Winter. Zum Vergleich: Schweizer Bergbahnen investierten während der letzten zwanzig Jahren pro Jahr rund 300 Millionen, eine neue Anlage kostete im Schnitt 10 Millionen.
Teuer Ski fahren auf veralteten Liften – diese Strategie mag in den USA funktionieren, wo Vail Resorts und Alterra die Lokalmatadoren sind. Zusammen mit zwei weiteren kleinen Anbietern stellen sie rund die Hälfte der US-amerikanischen Skitage. Hierzulande unvorstellbar, es herrscht eine hohe Konkurrenz unter den Skigebieten. Werden Gebiete zu teuer, weichen Schweizer Skigäste schlicht auf andere Regionen aus. Vorerst lösten die Amerikaner also primär eine Preissteigerung aus, sehr zum Gefallen der Skigebiete. Doch rund um die Strategie und die Investments folgte bisher eher stereotypisch lauter, amerikanischer Wirbel, während die Schweizer ihrerseits viel Geld in die Hand nehmen und in ihre Infrastruktur investieren.